Sie präsentieren sich als Aktivisten und Aufklärer. Dabei steckt hinter zwei reichweitenstarken Instagram-Accounts eine islamistische Gruppe. Der Verfassungsschutz beobachtet sie.
Sie sind "gegen Islamfeindlichkeit" und "für die Bewahrung der islamischen Identität" - so beschreiben sich "Realität Islam" und "Generation Islam" auf Instagram. Die Profile erscheinen im Nachrichten-Look, mit Schlagzeilen oder Zitaten auf Fotos und Videos. Thematisiert werden aktuelle Debatten: Ein Kopftuchverbot an Schulen, das richtige Fasten, Geschlechterrollen.
Doch dieser objektive Schein trügt. Beim genauen Hinsehen zeigt sich, dass die Gruppen ein klares Freund-Feind-Schema zeichnen. Muslime werden als Opfer einer staatlich gesteuerten Islamfeindlichkeit dargestellt.
Muslime in der Opferrolle
Der Verfassungsschutz beobachtet die Accounts, ordnet sie der islamistischen Bewegung Hizb ut-Tahrir (HuT) zu und attestiert ihnen "eine ablehnende Haltung zur freiheitlich demokratischen Grundordnung".
Da sie Themen ansprechen, die "weit über islamistische Kreise hinaus anschlussfähig" sind, konnten sie teilweise eine breite Massenwirkung erzeugen und ihren Bekanntheitsgrad steigern, so die Behörde gegenüber ZDFheute.
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Dieses Subtile und Unterschwellige sei Teil der Strategie, sagt der Islamwissenschaftler Götz Nordbruch, der Jugend- und Bildungsarbeit in diesem Bereich macht. "Das macht es den Jugendlichen schwer, die Accounts als problematisch zu erkennen." Ähnliche Social-Media-Strategien verfolgen auch rechtsextremistische Gruppierungen wie die Identitäre Bewegung.
Einfluss durch Reichweite
Wie groß das Mobilisierungspotenzial dieser Accounts ist, hat Saba-Nur Cheema zuletzt zu spüren bekommen. "Realität Islam" zitiert die pädagogische Leiterin der Begegnungsstätte Anne Frank mit einer kritischen Aussage über satirische Darstellungen des Propheten Mohammeds. Nur wird ihre Aussage aus dem Kontext gerissen, im Beschreibungstext wird sie als "ein weiteres Instrument in der Assimilationsagenda" diffamiert.
Tagelang erhält Saba-Nur Cheema Morddrohungen und Hassbotschaften, spürt die Wucht der Reichweite dieser Accounts. Um die 62.500 beziehungsweise 14.500 Abonnenten zählen "Generation Islam" und "Realität Islam" auf Instagram. Auch auf Facebook und Youtube gibt es Kanäle.
"Diese Mordfantasien machen mir Angst", sagt sie im Gespräch mit ZDFheute.
Auch wenn "Realität Islam" selbst nicht zu Gewalt gegen sie aufruft, ist sie sicher: "Sie wollen mich für ihre Botschaft instrumentalisieren."
Radikale Accounts: Vielfältiger Islam unerwünscht
Anders als "Generation Islam" setzt sich Cheema für einen vielfältigen Islam ein. Sie steht für Kontroverse und Debatte, berät die Bundesregierung zu antimuslimischem Rassismus. "Für die Profil-Betreiber gibt es dagegen nur 'den einen' Islam", sagt sie. Auch der Verfassungsschutz stellt fest: "Es gibt keine Dialog- und Kompromissbereitschaft."
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Es sind nicht allein die niedrigschwelligen Themen, die die Accounts für junge Muslime attraktiv machen. "In den Sozialen Medien fehlt es auch an Alternativen", sagt der Islamwissenschaftler Götz Nordbruch. Angebote wie das funk-Format "Datteltäter", das mit Satire-Videos kulturelle Vorurteile aufs Korn nehmen will, gibt es in der deutschen Medienlandschaft noch zu selten, findet er.
Löschen der Accounts löst nicht das Problem
Gegenangebote wären Nordbruch zufolge ein guter Weg, um Propaganda wie dieser entgegenzutreten. "Das Löschen der Accounts löscht ja nicht das Gedankengut", sagt er. Und auch das Bundesamt für Verfassungsschutz teilt auf ZDF-Anfrage mit, dass die Sperrung von Accounts nicht in seine Zuständigkeit falle.
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Die Behörde stellt aber auch fest: Die von den Kanal-Betreibern besetzten Themen spielen "im Rekrutierungsprozess der HuT eine wesentliche Rolle und bereiten einen Nährboden für die Radikalisierung junger Muslime." Sie werden die Social-Media-Aktivitäten weiter beobachten.
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