Rotes Kreuz: Gefangenen-Besuch und Familien-Post

    Interview

    Rotes Kreuz in Kriegsgebieten:"Ein Stück Menschenwürde" für Kriegsgefangene

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    Kriegsgefangene können nicht immer auf eine humanitäre Behandlung hoffen. Das Internationale Rote Kreuz hat das Recht, sie zu besuchen. Wie sieht die Lage in der Ukraine aus?

    Rotes Kreuz
    Das Internationale Rote Kreuz wünscht sich mehr Zugang zu Kriegsgefangenen. Symbolbild
    Quelle: AP

    Ariane Bauer ist Regionaldirektorin für Europa und Zentralasien beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), sie gehört zum Krisenstab. Seit 15 Jahren ist sie in unterschiedlichen Funktionen tätig. Kürzlich war sie in der Ukraine und hat sich dort einige Projekte angesehen.
    ZDFheute: Sie waren gerade erst in der Ukraine, haben Kiew und die Region rund um Charkiw besucht. Was ist Ihnen im Kopf geblieben?
    Ariane Bauer: Was mich beeindruckt hat, ist die kurzfristige Perspektive der Menschen. Sie sind total fokussiert auf heute - vielleicht noch morgen. Wie es weitergehen soll, können sie oft gar nicht abschätzen. Man lebt im Moment und versucht die Situation heute und morgen für sich zu lösen.
    ZDFheute: Wie sieht Ihre Hilfe in Krisengebieten aus?
    Ariane Bauer: Wir haben das Recht, Kriegsgefangene zu besuchen. Wir arbeiten mit Krankenhäusern zusammen, liefern Materialien und Medikamente oder bilden Chirurgen speziell für Kriegsgebiete aus. Unser Suchdienst versucht, weltweit Menschen auszuspüren. Ein anderer Aspekt ist mehr und mehr die Verteilung von Bargeld. Denn das erlaubt es den Menschen selbst auszuwählen, was sie brauchen  - also ein Stück Menschenwürde.
    ZDFheute: Wie funktioniert diese Bargeldverteilung?
    Ariane Bauer: Die ukrainischen Behörden haben zum Beispiel in verschiedenen Schulen und Studentenwohnheimen Aufnahmestätten für Vertrieben eingerichtet. Dort registrieren wir die Leute. Das Geld kommt dann über das ukrainische Postsystem, auch hier werden die Leute registriert, um Fehlverteilungen vorzubeugen. So wurden seit Februar 2022 bereits mehr als 435.000 Menschen mit fast 180 Millionen Schweizer Franken [ca. 182.700.000 Euro] unterstützt.
    ZDFheute: Ein wesentlicher Teil Ihrer Arbeit sind Häftlingsbesuche, Sie berichten aber kaum über die Zustände vor Ort. Wieso?
    Ariane Bauer: Wir setzen bei unserer Arbeit auf einen vertraulichen Dialog mit den Kriegsparteien. Unser Ziel ist es ja, die Bedingungen für Kriegsgefangene nachhaltig zu verbessern. Diesen vertraulichen Rahmen brauchen wir, um unsere Arbeit zu erledigen. Dazu bauen wir ein breites Netz aus Kontakten auf, sodass wir auch über Hierarchien hinweg handeln können, um zu helfen, Probleme anzugehen. Was wir wissen, ist:

    Wenn wir regelmäßig besuchen können und es eine gute Zusammenarbeit gibt, verbessert sich auch die Situation für Kriegsgefangene sehr stark.

    Ariane Bauer, Internationales Komitee des Roten Kreuz

    Auch ist die Hilfe unserer Bewegung immer neutral und unparteiisch, das wird nicht immer verstanden. Das heißt nicht, dass wir dem Leid der Menschen gegenüber neutral sind. Im Gegenteil: Unsere Neutralität soll uns helfen, Zugang zu allen notleidenden Menschen zu schaffen.
    ZDFheute: Wie ist die Situation für Kriegsgefangene in Russland und in der Ukraine aktuell?
    Ariane Bauer: Zurzeit finden in beiden Ländern Besuche statt. Wir sind aber nicht unbedingt zufrieden mit dem Zugang, den wir aktuell erhalten und rufen beide Kriegsparteien daher dazu auf, uns weiterhin Zugang zu gewähren.
    ZDFheute: Wie läuft die Arbeit in den Gefängnissen ab?
    Ariane Bauer: Es fängt immer mit einer Unterhaltung zwischen uns und den jeweiligen Behörden an. Dann folgt ein Rundgang durch die Anstalt. Wir schauen uns die Duschen, die Küchen, die Freizeiträume und die Zellen an. Ein zentraler Punkt der Besuche ist außerdem immer ein "Interview ohne Zeugen". Also der bilaterale Austausch mit den Häftlingen. Wir fragen sie nach den Haftbedingungen und ob sie Kontakt zu ihren Familien haben dürfen.
    ZDFheute: Bei diesem Kontakt helfen Sie gerne nach, wie funktioniert die Familien-Post?
    Ariane Bauer: Wir ermöglichen einen Briefaustausch zwischen den Gefangenen und ihren Familien, manchmal auch per Video. Das sind teilweise extrem ergreifende Mitteilungen. Kürzlich erst hat uns eine Ukrainerin erzählt, dass sie zwei Tage vor ihrem Geburtstag Post von ihrem Vater bekommen hat und so erfuhr, dass er in Gefangenschaft ist und noch lebt. Sie war unendlich dankbar für diese Nachricht so kurz vor ihrem Geburtstag. Dieser Austausch ist sehr wichtig, denn er schafft eine Perspektive.
    Das Interview führte Isabel Handrich.



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