Seit dem Ukraine-Krieg mangelt es in weiten Teilen der Welt an Getreide. Um die Kornkammer wieder anzubinden, will Rumänien nun alte Routen reaktivieren - doch die Zeit rennt.
Für Fotografen von Lost Places ist der Hafen von Galati in Südost-Rumänien ein El Dorado: abgerockte Fabrikgebäude, rostige Industrieinstallationen und Eisenbahnschienen, die ebenso tief versunken sind, wie die Zeiten des Ostblock-Warenaustausches.
Über die Gleise osteuropäischer Spurbreite rollte früher Rohmaterial für Rumäniens Stahlindustrie an das Donau-Ufer von Galati. Doch seit den 1990ern kommt nichts mehr aus dem Osten. Die Holzschwellen verrotteten, die Gleise wuchsen zu.
Alte Bahngleise sollen reaktiviert werden
Doch nun bricht hektische Betriebsamkeit aus: Bäume werden gefällt, Gras gemäht. Bald soll das kurze Stück osteuropäischer Eisenbahn auf EU-Boden wieder befahrbar sein. Denn diese 4,7 Kilometer bis zur ukrainischen Grenze könnten ein wichtiger Baustein sein für die Lösung des weltweiten Hungerproblems:
Seit der Hafen Odessa blockiert ist, sucht ukrainisches Getreide andere Wege. Der Weg über über Galati in Rumänien wäre der naheliegendste. Nur 350 Kilometer sind es von hier nach Odessa.
"Wir würden in diese Eisenbahnlinie nicht investieren, wenn der Krieg gegen die Ukraine nicht wäre", sagt der rumänische Transportminister Sorin Mihai Grindeanu im ZDF-Interview. Innerhalb weniger Wochen soll das Gleis wieder fit sein, verspricht er, und zählt weitere Projekte auf, die nun nach Jahren politischer Trödelei Tempo aufnehmen:
- Die Donau soll für mehr Flussschiffe ertüchtigt werden.
- Eine neue Autobahn soll Moldau mit Bukarest verbinden.
- Der Hafen Constanta soll auch im Umsatz der größte Hafen am Schwarzen Meer sein - nicht nur flächenmäßig.
Dafür müssen aber im Hafen - rund 190 Kilometer südlich von Galati - Hunderte rostige Eisenbahnwaggons von ebenso rostigen Gleisen geräumt werden - ein weiterer Lost Place. "Es gibt hier 80 Eisenbahngleise und nur vier oder fünf werden genutzt", erzählt Andrei, der hier für eine Transportfirma arbeitet.
Iași im Nordosten Rumäniens, eine Stadt im Aufwind. Es gibt Universitäten und etliche IT-Firmen. Viele junge Leute bieten ukrainischen Flüchtlingen Jobs an, Kinder werden betreut.
Ein Ruck geht durch Rumänien
In seinen 20 Jahren im Hafen musste er erleben, wie hier die Staatsbahn ihren Schrott auf Rädern abstellte und die Gleise verstopfte. Um bei der Abnahme des ukrainischen Getreides zu helfen, werden nun die rostigen Waggons weggeschafft. "Es ist auch ein bisschen Angeberei", meint Andrei:
Es geht ein Ruck durch Rumänien seit das Nachbarland Ukraine angegriffen wurde. Der Krieg sei wie eine "kalte Dusche, die einen aufweckt", meint Viorel Panait, Logistik-Unternehmer und bunter Hund im Hafen von Constanta.
Erntebeginn in drei Wochen - Wettlauf gegen die Zeit
In den 1990ern war er hier der erste rumänische Unternehmer, der etwa 60-jährige, bullige Mann platzt schier vor Energie und Optimismus. Vor wenigen Jahren investierte er in ein neues Getreide-Terminal, das schnellste in Europa. Drei Tage nach Kriegsbeginn gab er eine Erweiterung in Auftrag: Vier Millionen Euro Kosten, Verdoppelung der Kapazität, Ende Juni ist sie fertig. "Ein kleiner Baustein nur, aber viele Bausteine machen einen Unterschied."
"Natürlich ist es auch eine Chance für gutes Business", sagt er.
Es brauche Investitionen von 200 Millionen Euro, meint Viorel. Der Staat müsse die Infrastruktur verbessern - auch die digitale. Außerdem müsse er besser organisieren und koordinieren, so Viorel. So könne Constantas Kapazität um 50 Prozent gesteigert werden - auf einen Getreideumschlag von 30 Millionen Tonnen im Jahr.
Es ist ein Wettlauf mit der Zeit: In drei Wochen beginnt die neue Ernte, auch in Rumänien. Umso mehr ist Viorel Panait überzeugt: "Wir müssen schnell handeln, wir müssen das Geld dafür finden", sagt er. Es brauche den Willen aller Beteiligten. Und der sei jetzt gegeben? Ja, meint er. "Denn es muss sein."
Britta Hilpert ist Leiterin des ZDF-Studios in Wien und berichtet aus Südosteuropa.
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