Schlafexperte erklärt: Wie gefährlich ist Schlafwandeln?

    Interview

    Nach Unfall einer 18-Jährigen:Wie gefährlich ist Schlafwandeln?

    19.07.2022 | 13:16
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    Eine 18-jährige Schlafwandlerin fällt offenbar aus einem geöffneten Fenster - wie kann sowas passieren? Ist Schlafwandeln doch gefährlich? Ein Schlafmediziner gibt Antworten.

    Ein Mensch beim unruhigen Schlaf.
    Gefährdend für Betroffene kann das Schlafwandeln aus dem Traumschlaf heraus sein.

    In Neubrandenburg ist eine 18-Jährige aus einem Fenster im fünften Stock gestürzt und hat sich schwer verletzt. Die Polizei geht davon aus, dass die junge Frau schlafgewandelt ist. Im ZDFheute-Interview erklärt Thomas Penzel von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, warum Menschen schlafwandeln und wie man sie besser schützen kann.
    ZDFheute: Wer wandelt überhaupt Schlaf?
    Prof. Dr. Thomas Penzel: Wir sehen mehr Schlafwandeln bei Jugendlichen und jungen Menschen und oft wächst es sich aus. Es ist selten, dass das Schlafwandeln beim Erwachsenen weiter besteht. Wir unterscheiden außerdem zwischen zwei Sorten von Schlafwandeln, zum einen das Schlafwandeln aus dem Tiefschlaf heraus, zum anderen das Schlafwandeln aus dem Traumschlaf. Das Schlafwandeln aus dem Traumschlaf heraus nennen wir auch REM-Schlaf-Verhaltensstörung.

    Prof. Dr. Thomas Penzel

    ... ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin e.V. und Wissenschaftlicher Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Seine wissenschaftlichen und klinischen Schwerpunkte sind schlafbezogene Atmungsstörungen, kardiovaskuläre Regulation im Schlaf und methodische Entwicklungen in der Schlafmedizin.

    ZDFheute: Welche Unterschiede gibt es zwischen diesen beiden Typen?
    Penzel: Der Tiefschlaf ist eigentlich die Phase, wo wir erholen, wo wir ganz entspannt sind. Wenn wir im Tiefschlaf schlafwandeln, erfolgt das ganz stereotyp. So wie alle Körperfunktionen im Tiefschlaf einfach heruntergefahren sind, Atmung und Herzschlag ganz regelmäßig und langsam gehen, äußert sich das Schlafwandeln hier meist auch nur durch ganz gleichmäßige Bewegungen. Das ist gewöhnlich sehr harmlos und es passiert nichts.
    Gefährdender ist das Schlafwandeln aus dem Traumschlaf heraus. Der Traumschlaf dient zur psychischen Erholung und der Gedächtnisentwicklung, darum sind wir im Traumschlaf normalerweise wie gelähmt, das nennt man Atonie. Das Gehirn signalisiert, jetzt träumst du und darfst die Träume aber nicht ausleben, darum sind wir wie gelähmt. Wenn das allerdings gestört ist, lebt man die Träume aus und übt komplexe Bewegungen aus.
    ZDFheute: Was macht man dann genau?
    Penzel: Typischerweise kommt das häufiger bei Kindern und jungen Erwachsenen vor, wenn die Körpersysteme nicht ganz im Gleichtakt reifen. Ganz häufig führt man dann Bewegungen aus, die man immer macht, also die man motorisch einstudiert hat, wie Fenster und Türen öffnen. Es kann dann sogar passieren, dass Menschen das Haus verlassen, oder im schlimmsten Fall zum Fenster rausspringen.
    ZDFheute: Was kann man denn gegen das Schlafwandeln tun, um sich zu schützen?
    Penzel: Das eine sind ruhigstellende Medikamente, aber das ist natürlich nur die letzte Lösung. Man kann Betroffene bereits schützen, indem man Fenster und Türen abschließt und den Schlüssel jenseits des gewohnten Ortes ablegt, am besten möglichst ungewöhnliche Orte.

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    von Alica Jung
    Frau wacht in einem Bett auf
    Man schafft es nämlich nicht, im Schlafwandeln darüber nachzudenken, wo man den Schlüssel sonst abgelegt haben könnte. Außerdem sollte man gefährliche Gegenstände, die runterfallen können, aus dem Schlafzimmer räumen, um die Gefahren zu minimieren.
    ZDFheute: Passiert das einfach zufällig, manche wandeln Schlaf, andere nicht?
    Penzel: Wir vermuten eine starke genetische Determination. Wenn schon ein Familienmitglied schlafgewandelt ist, hat man eine höhere Wahrscheinlichkeit, solche Störungen zu entwickeln. Schlafwandeln aus dem Traumschlaf heraus kann übrigens im Alter wieder zunehmen. Da gehen wir davon aus, dass das ein Vorbote von neurogenerativen Erkrankungen ist, wie zum Beispiel Parkinson. Mir ist allgemein nicht bekannt, dass sich Schlafwandeln ohne Medikamente austherapieren lässt.
    ZDFheute: Kann und sollte man Schlafwandelnde aufwecken?
    Penzel: Ja, aber immer in einer geschützten Umgebung, also die Person, die auf die Straße gelaufen ist, erst einmal wieder ins Haus führen. Wenn es nur das Kind zuhause ist, das durch die Wohnung wandert und danach wieder ins Bett, da würde ich nicht eingreifen.
    Das Interview führte Alica Jung.