Dank des teuersten Medikaments der Welt hat John überlebt. Der Einjährige hat die seltene Krankheit spinale Muskelatrophie, Novartis die Medizin. Was darf eine Behandlung kosten?
John aus Sebnitz hatte Glück, er hat überlebt - dank Zolgensma, dem teuersten Medikament der Welt. Seine Krankenkasse genehmigte die zwei Millionen Euro teure Spritze, sonst wäre John vermutlich schon bald gestorben.
Aktionstag für seltene Krankheiten
Die Diagnose mehrere Wochen nach seiner Geburt: spinale Muskelatrophie (SMA), Typ 1, die schwerste Form des Muskelschwunds. SMA gehört zu den seltenen Erkrankungen, die maximal einmal unter 2.000 Menschen auftreten.
Seit 2008 wird am jeweils letzten Tag im Februar auf seltene Erkrankungen und ihre Probleme aufmerksam gemacht. Von einer "seltenen Erkrankung" spricht man dann, wenn weniger als fünf von 10.000 Einwohnern ein spezifisches Krankheitsbild aufweisen. Es gibt mehr als 8.000 seltene Erkrankungen. In Deutschland sind rund vier Millionen Kinder und Erwachsene betroffen.
Kinderarzt diagnostizierte zuerst eine Lungenentzündung
John war acht Wochen alt, als seine Mutter Jana Brandt bemerkte, dass mit ihrem kleinen Sohn etwas nicht stimmt. Der Kinderarzt diagnostizierte eine Lungenentzündung und schickte sie zur Abklärung an die Uniklinik nach Dresden. Die Ärzte im Zentrum für seltene Krankheiten erkannten schnell, dass die Lungenentzündung nur eine Begleiterscheinung ist.
"Du hörst diese Krankheit, welche Prognosen diese Krankheit mit sich bringt", erinnert sich Jana Brandt. John konnte zu dieser Zeit weder Arme noch Beine bewegen und nur sehr schwer atmen. Doch im November 2019 bekam er mit sieben Monaten in der Dresdner Uniklinik die erlösende Spritze und macht seitdem enorme Fortschritte:
Zolgensma ist in Deutschland nicht zugelassen
Doch es gibt ein Problem mit diesem Medikament: Es ist erst seit Mai vergangenen Jahres zugelassen, und das auch nur in den USA. Langzeitstudien gibt es nicht. Die ersten Ergebnisse bei behandelten Kinder stimmen aber hoffnungsvoll. Deshalb hat Johns Krankenkasse die Verabreichung des Medikaments letztendlich genehmigt.
Doch das bleibt eine Ausnahme. Das weiß auch der Hersteller von Zolgensma, der Schweizer Pharmariese Novartis. Er kam auf die Idee, 100 Behandlungen mit dem teuersten Medikament der Welt zu verlosen. Per Zufallsverfahren erhalten Patienten eine Gratisdosis Zolgensma und hoffen so, dem Tod zu entrinnen.
Novartis kann keinen ethischen Fehler entdecken
Für Novartis ist daran nichts Verwerfliches. Man habe einfach nicht so viele Dosen zur Verfügung, wie man gerne hätte. Bei aller Kritik an diesem Verfahren mangele es vorerst an Vorschlägen für bessere Alternativen, so der Pharmakonzern.
Medizinethiker unterstellen dem Unternehmen, mit dieser verdeckten Marketingkampagne das Zulassungsverfahren in vielen Ländern zu unterlaufen und Druck auf Regierungen und Krankenkassen auszuüben.
Das kritisiert Dr. Joachim Boldt vom Institut für Ethik und Medizingeschichte der Universität Freiburg. Es sei beispielsweise intransparent, was die Anzahl der Patienten betrifft, die es bekommen sollen.
Muskelatrophie kommt selten vor
Auch wenn die spinale Muskelatrophie wie bei John zu den eher seltenen Erkrankungen gehört. Jedes Jahr sind es weltweit mehrere tausend Kinder, die mit der Krankheit geboren werden, wovon die meisten bei der Tombola aber leer ausgehen werden.
In Deutschland läuft das Zulassungsverfahren für Zolgensma, aber noch ist vieles unklar.
Die Krankenkassen sehen die Notwendigkeit einer Diskussion über sachgerechte Preise. "Wir kommen an die Grenzen der Bezahlbarkeit durch das Solidarsystem", sagt Rainer Striebel, Vorstandsvorsitzender der AOK plus Sachsen/Thüringen.
Auch 500.000 oder eine Million Euro seien sehr teuer. "Was tun wir, wenn beim nächsten Mal die Pharmaindustrie einen Preis von fünf oder acht Millionen Euro aufruft?"
Das Baby kann zumindest wieder strampeln
Johns Mutter ist froh, dass sie für das Medikament nicht an einer Glückslotterie teilnehmen musste. Seit Ende letzten Jahres macht der kleine John enorme Fortschritte. Strampeln in der Badewanne - noch vor einigen Monaten undenkbar. Das teuerste Medikament der Welt hat John erst mal das Leben gerettet, doch viele Betroffene weltweit werden darauf wohl umsonst hoffen.