Serhij Zhadan: "Frieden wird erst nach Sieg möglich sein"
Interview
Ukrainischer Autor Serhij Zhadan:"Frieden wird erst nach Sieg möglich sein"
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"Morgen wachen wir auf und sind dem Sieg einen Tag näher" - so beendet Serhij Zhadan viele seiner Social Media-Posts. Heute erhielt er den Friedenspreis des deutschen Buchhandels.
Sehen Sie hier das Interview mit dem ukrainischen Schriftsteller Serhij Zhadan im Video. 21.10.2022 | 5:41 min
3sat Kulturzeit: Herr Zhadan, mit welchen Gefühlen nehmen Sie den Friedenspreis entgegen?
Serhij Zhadan: Ich bin nicht das erste Mal auf der Buchmesse, ich mag die Messe sehr, und den Friedenspreis zu erhalten, ist natürlich für jeden Schriftsteller eine große Ehre. Eine andere Sache ist, dass ich den Preis in diesem Jahr unter ziemlich bedrückenden Umständen in Empfang nehme. In der Ukraine ist Krieg, wir sind schon seit neun Monaten Objekt des Angriffs der Armee des russischen Staates.
Und in dieser Situation ist der Preis für mich vor allem eine Gelegenheit, das deutsche Publikum ein weiteres Mal daran zu erinnern, was heute in der Ukraine vor sich geht. Und natürlich auch, mich für die Unterstützung zu bedanken, denn ich spüre wirklich eine große Unterstützung seitens der deutschen Gesellschaft, seitens Deutschlands insgesamt.
Quelle: dpa
...ist ukrainischer Schriftsteller. Er wurde 1974 im Gebiet Luhansk in der Ostukraine geboren. Er studierte Germanistik, promovierte über den ukrainischen Futurismus und gehört seit 1991 zu den prägenden Figuren der jungen Szene in Charkiw. Er debütierte als 17-Jähriger und publizierte zwölf Gedichtbände und sieben Prosawerke.
Für "Die Erfindung des Jazz im Donbass" wurde er mit dem Jan-Michalski-Literaturpreis und mit dem Brücke-Berlin-Preis 2014 ausgezeichnet (zusammen mit Juri Durkot und Sabine Stöhr). Die BBC kürte das Werk zum "Buch des Jahrzehnts". Zhadan lebt in Charkiw.
Quelle: Suhrkamp-Verlag
Kulturzeit: Wie hat der Krieg Ihre Sprache als Schriftsteller verändert?
Zhadan: Das konnte natürlich nicht ohne Wirkung auf die Sprache bleiben. Besonders in den ersten Monaten war es sehr schwer, sich auf die Literatur, sich überhaupt auf das Schreiben zu konzentrieren. Wir alle haben eigentlich nur von den Nachrichten von der Front gelebt.
Ich versuche, regelmäßig etwas zu Papier zu bringen. Was weiter wird, ist schwer zu sagen, es ist schwer, diese Ereignisse als literarisches Material zu betrachten. Aber die Stimmen, die ich höre, werden sowieso von meinem Gehirn, von meinem Gedächtnis gespeichert, und möglicherweise kann perspektivisch daraus etwas entstehen.
Kulturzeit: Wie hat der Krieg Ihren Blick auf die Russen verändert? In Ihren Texten kommen sie vor als Barbaren, als Verbrecher, als Horde?
Zhadan: Es gibt eine Sache, die Sie verstehen müssen: Durch den Krieg werden die Grenzen der Neutralität überschritten. Das betrifft die emotionale Neutralität ebenso wie die Neutralität in Werturteilen. Und ich kann mir vorstellen, dass jemand in Deutschland, Frankreich oder Italien es sich erlauben kann, den Krieg als einen Konflikt von zwei Seiten zu betrachten. Wir können uns das nicht erlauben, denn wir sind eine dieser beiden Seiten.
Kulturzeit: In Ihren Posts heißt es am Ende oft: "Morgen wachen wir auf und sind einen Tag näher am Sieg". Woher nehmen Sie diesen Optimismus?
Zhadan: Das ist nicht nur Optimismus, das ist auch Logik. Die Zeit schreitet voran, und so oder so bewegen wir uns auf etwas zu. Jeder Krieg geht zu Ende, und auch dieser Krieg wird zu Ende gehen. Ich bin davon überzeugt, dass er mit einem Sieg der Ukraine enden wird, bin davon überzeugt, dass wir die Kontrolle über unsere Territorien zurückerlangen.
Kulturzeit: Wenn Sie diesen Sieg erreichen, ist dann der Frieden ganz nah?
Zhadan: Ich glaube, eine wie auch immer geartete andere Lösung kann nichts mit einem wirklichen Frieden zu tun haben. Jede andere Lösung läuft doch auf einen Kompromiss hinaus. Das sind doch Zeitbomben! Das würde einfach bedeuten, dass der Konflikt nicht beendet ist.
Das Interview führte Kulturzeit-Moderatorin Cécile Schortmann. Redaktion: Ralf Rättig