Der US-amerikanisch-französische Schauspieler Timothée Chalamet ist so gefragt wie nie zuvor. Sein Erfolg sagt etwas über das Männerbild von heute aus.
Seit "Titanic" und den frühen Zeiten von Leonardo DiCaprio hat es wohl keinen jungen Schauspieler gegeben, der so präsent ist wie derzeit Timothée Chalamet. Die braunen Wuschellocken, der verträumte Blick, das Charisma zwischen kleinem Bruder und Rasierwassermodel: Der 26 Jahre alte New Yorker, der einen amerikanischen und einen französischen Pass hat, ist einer der großen Stars der Generation Instagram.
Er kann Blockbuster und Festivalfilme
Kinogänger kennen Chalamet aus "Interstellar", "Lady Bird", "Little Women" oder als drogensüchtigen Sohn in "Beautiful Boy". Die schwule Liebesgeschichte "Call Me by Your Name" brachte ihm mit Anfang 20 eine Oscar-Nominierung ein. Dieses Jahr folgten Wes Andersons "The French Dispatch", das Science-Fiction-Epos "Dune" und gerade "Don't Look Up" auf Netflix, demnächst ist er der junge Schokoladen-Fabrikant in "Wonka".
Was sagt sein Erfolg über den Zeitgeist?
In der deutschen Werbung finden sich schon Männer, die vom Typ her an Chalamet erinnern, etwa im Weihnachtsclip eines Supermarkts, in dem eine Mutter ihrem Sohn das Ende der Pandemie herbeiwünscht. Agenturchefin Claudia Midolo (Modelwerk) verweist bei den Model-Typen auf die Unterschiede zwischen der Modewelt und Schauspielern. In der Fashion-Branche ist demnach immer noch der etwas mehr stereotype Mann gefragt, aber nicht mehr so ausgeprägt wie in den 90ern.
Veränderung des Männerbilds
Midolo sagt, dass es allgemein softer und diverser zugehe, Männer seien schlanker und nicht mehr so muskelbepackt. Das neue Männerbild vom Typ Chalamet sei durchaus auch vertreten. Die Zielgruppe wird aber für zu jung für teure Mode gehalten. Midolo erklärt:
Der Literaturwissenschaftler Toni Tholen (Universität Hildesheim) hat "in aller Vorläufigkeit des Urteils" folgende Erklärung: Chalamet scheint dem zu entsprechen, was man in der Männlichkeitenforschung "hybride Männlichkeit" nennt. Grob zusammengefasst: Er geht weg vom klassischen Männerbild, traut sich, etwas weiblicher zu sein, aber verliert dabei nicht die männlichen Privilegien.
Autor Fikri Anıl Altıntaş über Männlichkeit und Gleichbereichtigung zwischen Männern und Frauen. Im Video antwortet er auf Fragen aus der Social Media Community von 37 Grad.
Was das Männerbild generell angeht, sagt Tholen: "Männliche Dominanz und patriarchale Herrschaftsstrukturen sind in den vergangenen Jahren zum Teil massiv in Frage gestellt worden, vor allem dank feministischer Kritik und Politik, aber auch dadurch, dass Männer selbst unter den Anforderungen von Männlichkeit leiden und beginnen, sie in Frage zu stellen."
Das heißt für Tholen aber nicht, dass diese Anforderungen damit schon verschwunden wären:
Auf jeden Fall lasse sich sagen: Die patriarchale Männlichkeit ist rissig geworden. "Männlichkeit lässt sich im Moment vielleicht am treffendsten als eine Formation ambivalenter und widersprüchlicher Bewegungen und Positionierungen verstehen; manchmal auch schon als eine Suche nach neuen Verortungen und Lebensweisen, verbunden mit einer wachsenden Lust, sich nicht länger als Herrscher über Menschen und Dinge aufzuspielen."