Brandseeschwalbe, Gartenschläfer und Kleine Braunelle haben eines gemeinsam: Sie gehören zu den Tieren und Pflanzen des Jahres 2023. Aber was haben sie eigentlich davon?
Tusch, bitte! Einzeller des Jahres 2023 ist das Grüne Gallertkugeltierchen. Das hat die Deutsche Gesellschaft für Protozoologie entschieden. Und - nochmal Tusch - das herzblättrige Zweiblatt wiederum ist die Orchidee des Jahres. Dazu haben es die Arbeitskreise Orchideen der Bundesländer gekürt.
Nur zwei Beispiele aus einer langen Liste, zu der im Übrigen auch die Moor-Birke als Baum des Jahres (Silvius-Wodarz-Stiftung), das Landkärtchen als Insekt des Jahres (Deutschen Gesellschaft für allgemeine und angewandte Entomologie) und der Sumpf-Haubenpilz als Pilz des Jahres (Deutsche Gesellschaft für Mykologie) gehören.
Liste der "Jahreswesen" immer länger
"Ja, inzwischen gibt es eine ganze Menge 'Jahreswesen', bestätigt Silvia Teich vom Naturschutzbund Deutschland (NABU). "Jahreswesen", so nennt sie die Tiere, Pflanzen und auch Pilze, die sich mit dem Adelsprädikat "des Jahres" schmücken dürfen. "Es scheinen tatsächlich immer mehr zu werden."
Gesellschaften, Stiftungen, Arbeitskreise, Vereine - sie sind es, die festlegen, was auf die Liste kommt und damit um Aufmerksamkeit buhlt.
Im Falle des Lurchs des Jahres tagt eine Arbeitsgruppe aus Spezialisten der Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde (DGHT) mehrere Stunden lang, erklärt Geschäftsführer Dr. Axel Kwet. "Am Ende findet eine demokratische Abstimmung der anwesenden Mitglieder statt." Diesmal fiel die Wahl auf den Kleinen Wasserfrosch.
Gremien und Vorstand entscheiden über Kür
Nicht so viel anders hält es der Verein Jordsand, der jährlich in seinen Gremien über den Seevogel des Jahres beschließt, so Geschäftsführer Dr. Steffen Gruber. Zum zweiten Mal nach 2015 haben die sich nun für die Brandseeschwalbe entschieden. Bei der Loki-Schmidt-Stiftung bestimmt seit 1980 der Vorstand auf Basis von Vorschlägen die Blume des Jahres, diesmal die Kleine Braunelle.
Die "Mutter aller Jahreswesen", wenn man so will, ist übrigens der Vogel des Jahres. Er wird in Deutschland schon seit 1972 gekürt. Die Wahl für 2023 hat das Braunkehlchen für sich entschieden. Und richtig: Es wurde tatsächlich gewählt, was es auch deshalb zur Besonderheit macht.
Seit ein Meteorit vor 65 Millionen Jahren die Dinosaurier auslöschte, hat es auf der Erde kein so rasantes Artensterben gegeben wie heute. Was bedeutet das für unsere Zukunft?
Vogel wird öffentlich gewählt
"Beim Vogel des Jahres haben wir uns nach 50 Jahren für eine öffentliche Wahl entschieden, um noch mehr Menschen anzusprechen", erklärt Silvia Teich.
Das Braunkehlchen übrigens gilt als stark gefährdet, weil es immer weniger artenreiche Wiesen und Blühstreifen gibt, die es dringend braucht. Seine Wahl rückt es ein wenig ins Rampenlicht. Denn: Aufmerksam machen auf bedrohte Tiere und Pflanzen - genau das ist in der Regel der Zweck der Jahreswesen.
Der "Vogel des Jahres" 2023 ist gekürt worden: das Braunkehlchen. Wegen seines weißen Gesichtsbandes über den Augen wird der gefährdete Vogel auch "Wiesen-Clown" genannt.
Tausende tote Brandseeschwalben
Auch bei der Brandseeschwalbe. Im Laufe der Brutzeit 2022 hat der Verein Jordsand plötzlich Tausende toter Tiere gefunden. "Sie infizierten sich mit dem tödlichen Erreger der Vogelgrippe", erklärt Gruber. Zuvor sei der "nur" im Winterhalbjahr bei anderen Vögeln aufgetreten. Die Wahl zum Seevogel des Jahres soll nun auf das massenhafte Sterben der ohnehin schon bedrohten Brandseeschwalbe hinzuweisen.
Ähnlich waren die Motive bei der Kür des Wildtieres des Jahres durch die Deutsche Wildtierstiftung. Der Gartenschäfer ist ein Nagetier, das wegen schwindender Lebensräume auf der Roten Liste steht. Der Kleine Wasserfrosch gilt ebenso als gefährdet und ist dabei noch kaum erforscht. Deshalb will ihn die DGHT in die Öffentlichkeit rücken.
Bei der Weltnaturkonferenz in Kanada liegt der Entwurf für ein neues Artenschutzabkommen auf dem Tisch. Die Idee klingt einfach: Reiche Länder sollen die arme Länder unterstützen.
Lurche des Jahres haben es schwerer
Dass es andere Tiere im Reigen der Jahreswesen als Sympathieträger einfacher haben, dessen ist sich die Gesellschaft dabei sehr wohl bewusst.
Aber auch eine "Allerweltsart", nämlich die Kleine Braunelle, hat es geschafft, berichtet Dr. Kristin Ludewig von der Loki-Schmidt-Stiftung. Zum ersten Mal fiel die Wahl der Blume des Jahres auf eine Pflanze, die "hart im Nehmen" sei und nicht als selten gilt.
Allerdings: "Leider werden Arten nährstoffarmer Standorte generell immer seltener." Die kleine Braunelle erfülle daher das Kriterium, "repräsentativ für einen bedrohten Lebensraum" zu sein.
Mark Hugo ist Redakteur in der ZDF-Umweltredaktion.
- Wie die Artenvielfalt gerettet werden soll
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