19 Kilo schwere Jugendliche stirbt - Prozess gegen Eltern

    Eltern in Schweinfurt vor Gericht:Gutachter: 16-Jährige starb an Unterernährung

    |

    Vor zwei Jahren stirbt eine 16-Jährige in der Obhut der Eltern - sie wiegt nur noch 19 Kilo. Für einen Gutachter ist die Todesursache eindeutig. Angeklagt sind beide Elternteile.

    Prozessbeginn in Schweinfurt gegen Eltern, deren Kind an Mangelernährung gestorben ist
    Der 51 Jahre alte Vater und seine 48 Jahre alte Frau müssen sich vor Gericht für den Tod ihrer Tochter verantworten.
    Quelle: dpa

    Vor dem Landgericht Schweinfurt hat sich im Prozess um den Tod eines Mädchens aus Unterfranken ein Gutachter geäußert. Der Sachverständige kam zu dem Schluss, dass die 16-Jährige an multiplem Organversagen aufgrund einer Unterernährung starb, wie ein Gerichtssprecher mitteilte.
    Seit Donnerstag stehen die Eltern des Mädchens wegen versuchten Totschlags, Aussetzung und gefährlicher Körperverletzung vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, trotz des schlechten Zustands ihrer Tochter keine ärztliche Hilfe hinzugeholt und so den Tod des Mädchens billigend in Kauf genommen zu haben.

    Mutter: Bewerte mein Verhalten im Nachhinein "völlig anders"

    Zum Prozessauftakt übernahmen Mutter und Vater die Verantwortung für das Geschehen. "Wir haben uns bis zuletzt nicht vorstellen können, dass Pauline stirbt", sagte der Anwalt des Vaters im Auftrag seines Mandanten. "Ich hatte bis zuletzt gedacht, dass alles wieder gut wird. (...)."

    Ich hätte dafür sorgen müssen, dass Pauline auch gegen ihren Willen in einem Krankenhaus behandelt wird.

    Vater der verstorbenen 16-Jährigen

    Ein Apfel und eine Dose Pillen sind von einem Maßband umschlungen
    Den eigenen Körper akzeptieren und mögen ist für viele nicht leicht, die dem Schönheitsideal nicht entsprechen. Der Anti-Diät-Tag soll helfen, sich von Zwängen zu lösen.06.05.2024 | 1:32 min
    Auch die Mutter der 16-Jährigen ließ von ihrem Verteidiger eine Erklärung verlesen. Sie habe die Gefährlichkeit der Situation nicht wahrgenommen. "Natürlich bewerte ich mein Verhalten im Nachhinein völlig anders."

    Kommissar: "Skelett mit Haut und Knochen"

    Als Polizei und Notarzt in den frühen Morgenstunden des 19. Dezember 2022 zum Haus der Angeklagten in Unterfranken gerufen wurden, fanden sie das leblose Mädchen. Der damals eingesetzte Notarzt berichtet:

    Sie war stark untergewichtig. (...) Sie war unterernährt.

    Notarzt vor Gericht

    Von um die 19 Kilogramm bei der rechtsmedizinischen Untersuchung der Leiche war die Rede.
    Mädchen mit Zöpfen (Rückansicht) sitzt auf dem Rasen und schreibt in Notizbuch
    Die Zahl psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen - und dadurch auch die Nachfrage nach Therapieplätzen - ist durch die Corona-Pandemie deutlich gestiegen.18.07.2023 | 9:12 min
    "Ein Skelett mit Haut und Knochen", erzählte ein Kommissar vor Gericht. "Verstörend. (...) Der Körper war komplett ausgezehrt." Der Polizist vermutete, dass die Eltern mit der Situation überfordert waren, sich dem Willen ihres Kindes wohl beugten, nicht in ein Krankenhaus zu wollen.

    Wissenschaftlern zufolge ist die Zahl der Jugendlichen mit Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie bundesweit gestiegen - besonders in der Corona-Pandemie.

    Vor allem bei 12- bis 17-jährigen Mädchen und Frauen gab es einer Studie der KKH Kaufmännische Krankenkasse zufolge zwischen 2020 und 2021 einen massiven Anstieg um mehr als 30 Prozent.

    Einer der Gründe - neben der Pandemie: Sogenannte Fake-Ideale und die Flut von Bildern vermeintlich makelloser Menschen auf Social-Media-Plattformen.

    Oberstaatsanwalt erhebt schwere Vorwürfe gegen Eltern

    Nach Worten von Oberstaatsanwalt Markus Küstner war die Jugendliche essgestört und mangelernährt, hatte sich kurz vor ihrem Tod im Dezember 2022 mit dem Coronavirus infiziert und litt an einer Magen-Darm-Infektion.
    Betroffene Long-Covid Patientin.
    Besonders Kinder und Jugendliche haben die Isolation in der Pandemie als große Belastung empfunden, wie ein Regierungsbericht im vergangenen Jahr verriet.08.02.2023 | 1:43 min
    Der 51 Jahre alte Vater und seine 48 Jahre alte Frau aus Unterfranken sollen trotzdem keinen Arzt verständigt haben. Das psychisch labile Mädchen starb im Bett der Eltern.

    Familie lebte während Corona-Pandemie zurückgezogen

    Die Mutter wies am ersten Verhandlungstag allerdings zurück, den Tod ihrer Tochter billigend in Kauf genommen zu haben. "Sie hat selbstständig getrunken und auch immer wieder Salzstängchen gegessen", sagte der Verteidiger der Frau.
    Die Familie, zu der noch zwei Kinder gehören, habe in der Corona-Pandemie sehr zurückgezogen gelebt. Die 16-Jährige sei damals viel in sozialen Netzwerken unterwegs gewesen und habe ihre Häkelarbeiten präsentiert. Auch habe das Mädchen eine Angststörung gehabt und sich deswegen gegen einen Krankenhausaufenthalt gewehrt, erklärte der Anwalt der Mutter.
    Für den Prozess sind insgesamt drei Verhandlungstage angesetzt. Am kommenden Dienstag werden die Plädoyers erwartet.

    Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) stellt Informationen für Betroffene, Angehörige und Freunde bereit. Unter der Nummer 0221 892031 ist das Beratungstelefon montags bis donnerstags von 10:00 bis 22:00 Uhr sowie freitags bis sonntags von 10:00 bis 18:00 Uhr besetzt.

    Auch bei der Nummer gegen Kummer können sich Jugendliche unter der 116 111 montags bis samstags von 14:00 bis 20:00 Uhr melden. Das Elterntelefon ist montags bis freitags von 9:00 bis 17:00 Uhr sowie dienstags und donnerstags bis 19:00 Uhr unter der 0800 111 0 550 erreichbar.

    Quelle: dpa
    Thema

    Mehr zum Thema Essstörungen