Veuve Noire ist eine 38-jährige Dragqueen. Sie lebt und arbeitet in St. Pauli. Im Interview erzählt sie über ihr Leben, Vorurteile - und was man tun kann, um diese abzubauen.
Ob Du ein bunter Vogel bist, braune Haut hast oder im Rollstuhl sitzt: Wer heraussticht, stößt auf viele Hindernisse und Vorurteile. Doch die sind nicht unüberwindlich.
Die Hamburger Dragqueen Veuve Noire kämpft seit ihrer Schulzeit gegen Vorurteile an. Heute, als 38-Jährige, besucht sie die nächste Generation von Schüler*innen und setzt sich dafür ein, dass andere nicht das Gleiche erleben müssen. Sie ist Botschafterin des Projektes "Olivia macht Schule", initiiert von Olivia Jones, Deutschlands berühmtester Dragqueen. Die Initiative will Vorurteilen zuvorkommen und sie gar nicht erst entstehen lassen.
ZDFheute: Wer ist Veuve Noire?
Veuve Noire: Ich bin ein homosexueller Mann im Körper einer heterosexuellen Frau. Und Hallöchen! Nackt bin ich ein hübscher Junge. Und angezogen eine wunderschöne Dragqueen.
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ZDFheute: Was ist eine Dragqueen?
Veuve Noire: Drag kommt aus dem Englischen und ist die Abkürzung für: dressed as girl. Also: angezogen wie ein Mädchen. Früher durften Frauen nicht Theater spielen, Männer übernahmen auch die weiblichen Rollen und wurden Drags genannt. Heute bezeichnet man Menschen so, die zwar biologisch keine Frauen sind, sich aber wie eine fühlen und kleiden.
ZDFheute: Sind Dragqueens Homosexuelle, Transsexuelle oder Transvestiten…?
Veuve Noire: Bei uns Pornopeitschen ist alles dabei. Dragqueens mit Penis, mit Penis und Brüsten oder Vagina und Busen. Ich habe mein Geschlecht nicht anpassen lassen, weil ich meinen Körper mag, wie er ist. Wenn ich enge Kleider trage, binde ich mir unten den Penis ab und oben die Brüste um.
ZDFheute: Wie möchtest Du angesprochen werden?
Veuve Noire: Ich möchte respektvoll angesprochen werden. Er, sie, es, das Pronomen ist mir egal, ich lasse mich nicht auf einen Begriff reduzieren. Ich weiß, meine Community kann bei diesem Thema sehr bitchig sein, was ich lächerlich finde. Ich sag immer: "Fragt uns einfach, wenn ihr unsicher seid".
ZDFheute: Wie reagieren die Menschen auf dich?
Veuve Noire: Ich lebe und arbeite auf St. Pauli. Ich mache Kiezführungen über die Reeperbahn und verwalte unseren Twitch-Kanal "Drag-Attack". Da kannst Du aussehen, wie Du willst und fällst nicht auf. Im Alltag laufe ich natürlich nicht so schrill herum wie abends.
Aber ich habe eine sehr weibliche Attitüde. Die Menschen starren mich an, oft gibt es dumme Sprüche: Schwuli, Schwuchtel, Schlampe. Kenne ich, seit ich beschlossen habe, meine sexuelle Identität offen auszuleben.
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ZDFheute: Wann war das?
Veuve Noire: Vor zwanzig Jahren. Ich lebte damals in Wismar und habe mich meiner besten Freundin anvertraut. Der habe ich noch erzählt, dass ich bisexuell bin, einfach, um das Drama ein bisschen zu schmälern. Und wie es sich für eine beste Freundin gehört, hat sie ihre Fresse nicht gehalten. An dem Abend habe ich die übelsten Nachrichten bekommen von meinen Freunden. Die haben echt geschrieben: "Halt dich fern von uns", "wir prügeln dich tot" oder "lass unsere Männer in Ruhe."
Ich habe gefühlt von heute auf morgen alles in meinem Leben verloren. Stand komplett alleine da. Wurde in der Schule, auf der Straße, überall beschimpft, beleidigt und bedroht. Musste oft um mein Leben laufen, weil Nazis mich totschlagen wollten. Das war auch der Moment, wo ich dann die Entscheidung getroffen habe, mir das Leben zu nehmen. Dem ganzen Scheiß ein Ende zu machen. Traurig ist, dass auch heute junge Menschen diese Gedanken haben, wenn sie merken, dass sie nicht heterosexuell sind.
ZDFheute: Woran liegt das?
Veuve Noire: An Vorurteilen. Schwul ist immer noch ein beliebtes Schimpfwort, besonders auf Schulhöfen. Queere Menschen werden von der Gesellschaft meist nicht akzeptiert, sondern ausgeschlossen. In den Großstädten ist es noch okay. Aber geh mal aufs Land!
ZDFheute: Was kann man tun, um diese Vorurteile abzubauen?
Veuve Noire: Sie gar nicht erst entstehen lassen. Die Dragqueen Olivia Jones hat vor einigen Jahren das Projekt "Olivia macht Schule" ins Leben gerufen, ich bin die Botschafterin dieser Initiative.
Ich fahre in Schulen und spreche mit Teenies. Anders als die Lehrer kann ich aus meinen persönlichen Erfahrungen berichten. Erzähle ihnen, dass ich mir meine sexuelle Identität nicht ausgesucht habe - und was ich alles erlebt habe, weil ich bin, wie ich bin. Danach stelle ich mich ihren oft sehr klugen Fragen.
ZDFheute: Wie kommt das Projekt an?
Veuve Noire: Sehr gut. Schulen, die mich einmal eingeladen haben, laden mich wieder ein. Oft kommen diese kleinen Krawallschachteln nach dem Vortrag zu mir und entschuldigen sich, weil sie diese gemeinen Wörter benutzt haben. Versprechen, es nie wieder zu tun.
Das Interview führte Candan Six-Sasmaz
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