Heute wird der Opfer des Warschauer Aufstands 1944 gedacht. Eine Widerstandskämpferin erzählt - sie war damals 17 Jahre alt. "Es war meine Aufgabe, Granaten zu werfen."
ZDFheute: Gab es ein Moment während des Aufstands, der Sie am meisten betroffen und verändert hat?
Wanda Traczyk-Stawska: Es war meine Aufgabe, Granaten zu werfen, damit die Deutschen nicht rennen konnten. Und ich wollte sehen, ob ich die Granaten richtig warf. Und ich sah einen so leidenden deutschen Soldaten, der so sehr auseinandergerissen wurde durch die Granate, dass ich anfing zu weinen. Seit diesem Moment hasse ich den Krieg, aber ich habe Granaten geworfen und geschossen bis zum Ende, weil es ein Kampf um Leben und Tod war.
Vor 76 Jahren griff die Polnische Heimatarmee die deutschen Besatzer in Warschau an. Ihr großes Ziel: Warschau von den Deutschen befreien.
ZDFheute: Wurde Ihre Kindheit mit dem Aufstand beendet?
Traczyk-Stawska: Ich sah es mit meinen Augen. Aus dem Rauch, aus einem verfallenden Haus, aus diesem schrecklichen Chaos, erschien eine Frau mit Baby im Arm. Und ich sah, als sie (Anm. d. Red: die Deutschen) auf das Baby geschossen haben. Aus ca. 30 Metern Entfernung. Sie sahen, dass es eine Frau und ein Baby waren. Ich sah das Kind mit dem Federbett auseinanderfliegen, die Federn flogen, das Kind flog auseinander, und die Frau rannte zu meiner Tür, wo ich stand, und sie schrie, dass sie das Kind fallen gelassen hatte, und dass ich es aufheben sollte. Ich war zwölf (Anm. d. Red.: bei Kriegsbeginn). So endete meine Kindheit. Es wurde mir klar, dass ich erwachsen werden muss und Soldat sein muss, um die Deutschen aus Polen zu vertreiben, damit solche Dinge nicht passieren.
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ZDFheute: Wie reagieren Sie heute, wenn Sie Deutsch hören?
Traczyk-Stawska: Die Sprache, die ein Kind verwendet, ist für mich eine völlig andere Sprache. Aber wenn es ein Mann und im mittleren Alter ist - dann kommt das Bewusstsein zurück, was passiert ist. Es waren die erwachsenen Männer, die die Zivilbevölkerung misshandelt hatten, in erster Linie die Zivilbevölkerung, die wehrlos war.
ZDFheute: Wie wichtig sind für Sie die offiziellen Gedenkfeierlichkeiten?
Traczyk-Stawska: Es ist zwar eine Feierlichkeit, jeder lobt uns, aber niemand kann verstehen, wie es tief drinnen in uns ist, dass es in uns bleibt. Ich war ein Soldat.
Heute vor 76 Jahren wagte die polnische Heimatarmee den Aufstand gegen die deutschen Besatzer. Und startete damit den Versuch, die Hauptstadt zu befreien.
ZDFheute: Wo liegt Ihre Hoffnung für die Zukunft?
Traczyk-Stawska: Beide Seiten, die miteinander kämpfen, haben Mütter, und diese Mütter werden "Waisen". (Anm. d. Red: wenn sie ihre Kinder verlieren). Und da liegt meine Hoffnung, dass Frauen diese Sachen in ihre Hände nehmen, dass sie keinen Krieg zulassen, dass wir miteinander reden können, dass man nicht auf Freunde schießt. Wenn wir uns befreunden können. Wir haben eine wundervolle Situation, dass wir in der Europäischen Union sind, in der wir uns anfreunden und verständigen können. Und das ist die Hoffnung für mich.
Das Interview führte Lukasz Walewski für das ZDF-Studio Warschau