Echte Wildnis mitten in der Stadt? Schwer vorstellbar. Aber es funktioniert. Das zeigen Flächen in Frankfurt und Berlin. Voraussetzung: Der Mensch lässt es auch zu.
Brachflächen, verlassene Hallen, alte Ruinen. Die Natur nutzt jede kleine Lücke zwischen Steinen und Beton – sofern der Mensch es zulässt. Es ist ein Kampf zweier mächtiger Gegner.
Dass hier überhaupt etwas wächst, scheint wie ein kleines Wunder. Tonnenschwere, 20 bis 30 Zentimeter dicke Betonplatten wurden herausgebrochen. Jetzt liegen sie planlos auf dem Boden herum, meist wild übereinandergestapelt. Und trotzdem ist hier auf dem ehemaligen Flugplatz im Frankfurter Stadtteil Bonames bis zu sieben Meter hoher, dichter Wald entstanden - in nur 20 Jahren.
Da, wo noch in den 90er-Jahren Militärhubschrauber abgestellt waren, sind heute rund 260 Arten nachgewiesen, darunter viele Amphibien oder Pflanzen wie die gefährdete Wasserfeder. Natur, wie sie sonst nur in unberührten Auwäldern vorkommt.
Bonames: Üppige Vegetation auf zerkleinertem Beton
Es ist Teil eines Projekts, bei dem auf ehemals vom Menschen genutzten Flächen "städtische Wildnis" entstehen soll. Ein Experiment, das in Bonames zumindest "wunderbar aufgegangen ist", schwärmen Prof. Georg Zizka und Dr. Indra Starke-Ottich vom Senckenberg Forschungsinstitut. Statt den Boden damals aufwändig abzutragen, hat man ihn in unterschiedlicher Körnung zerkleinert.
Das Verblüffende: Je gröber der Beton, desto üppiger die Vegetation. Der Grund: Unter und neben den großen Platten war der Mutterboden für die Pflanzen erreichbar, erklärt Starke-Ottich. "Dann kam zusätzlich auch noch die Vernässung hinzu, also dass Wasser zwischen den Platten steht." Feuchtigkeit und Schatten wirkten als regelrechter Wachstumsturbo.
Von Pionierarten bis zum Wald
Wenn sich die Natur brachliegende Flächen zurückholt, folgt sie dabei normalerweise einem Prozess, der "Sukzession" genannt wird. Erst siedeln sich genügsame Pionierarten an, dann - wenn sich Humus und Boden gebildet haben - werden sie von größeren Pflanzen verdrängt. Am Ende steht - jedenfalls in unseren Breitengraden - immer Wald. Voraussetzung: Der Mensch lässt das zu.
Dass es aber auch dann menschgemachte Probleme geben kann, zeigt eine andere Fläche südlich von Frankfurt am Fuße des "Monte Scherbelino", einem ehemaligen Müllberg. Auf ihr entwickelt sich im Sperrgebiet seit 2016 "Wildnis". Seitdem ist hier eine Wiese entstanden - mit Gräsern, ein paar Stauden und jungen Bäumen.
Eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht – und als Folge davon auch unsere Ernährung, sauberes Wasser und der Sauerstoff zum Atmen. Was tun, damit die biologische Vielfalt neu auflebt?
Neophyten: Gefahr für heimische Arten
Angesiedelt haben sich aber auch sogenannte Neophyten, vom Menschen aus anderen Teilen der Erde eingeschleppte Arten wie die amerikanische Goldrute oder die Armenische Brombeere. Sie breiten sich aus und verdrängen heimische Arten und stören damit den Lauf der Natur.
Im Fall der Brombeere ist das auch schon passiert.
Und auch in Berlin im Spreepark kennt man das Problem. Nach 2001 ist der ehemalige Vorzeige-Vergnügungspark verfallen und zu einem regelrechten "Lost Place" geworden - mit zugewucherten Fahrgeschäften. Kein offizielles Wildnis-Projekt zwar. Seltene Pflanzen haben sich aber dennoch angesiedelt. In der Rinne der ehemaligen Schwanenbahn gedeiht etwa die Zwergwasserlinse bestens.
Spreepark in Berlin soll trotz Nutzung wild bleiben
In den nächsten Jahren soll der Park jetzt wieder von der "Grün Berlin" für den Menschen erschlossen werden, vor allem für Freizeit- und Kulturevents. Ein Teil soll dennoch wild bleiben. Als "Lost Place" kann er dann, so die Idee, von Aussichtsplattformen bestaunt werden.
Einer, der am Konzept des neuen Spreeparks mitarbeitet, ist Landschaftsplaner Stefan Braatz. Einfach alles so zu lassen, wie es ist, funktioniert nicht, erklärt er.
Der Grund sind Neophyten wie das Springkraut oder der Japanische Knöterich. Durch den Klimawandel würden sich auch manche Arten stärker ausbreiten als vorher. "Wir müssen das Zepter in der Hand behalten, wenn wir was Bestimmtes hier erreichen wollen", so Braatz.
Intakte Ökosysteme besser
Dass sich die Natur Flächen zurückholt, wenn sie kann, dürfe allerdings über eines nicht hinwegtäuschen, warnt Biologe Zizka: Mit intakten, natürlich entstandenen Ökosystemen können sie nicht mithalten. Denn wenn artenreiche Lebensräume vom Menschen einmal zerstört sind, sind sie für lange Zeit verloren, so Zizka.
Mark Hugo ist Redakteur in der ZDF-Umweltredaktion