Kein Theater, keine Bar, kein Zoo - da bleibt nur der Wald. Mehr Spaziergänger bedeutet aber nicht immer mehr Naturverbundenheit. Viel aufgeschrecktes Wild landet auf der Straße.
Das Reh liegt im Gebüsch, Schneeflocken schweben zu Boden. Es hat Hunger, es friert. Aber es muss aushalten. Warten, bis es sicher ist. Nachts, wenn der Wald still ist. Doch er wird nie still. Scheinwerferlichter zucken durch die Bäume, Hunde bellen. Plötzlich ist einer ganz nah. Das Reh rennt und rennt. Bis es noch viel hellere Scheinwerfer sieht.
"Dieses Jahr sind es etwa doppelt so viele Wildunfälle wie das Jahr davor", schätzt Thomas Köhrer. Er ist Kreisjagdmeister im Landesjagdverband Rheinland-Pfalz; sein Revier ist der Lennebergwald in Mainz, durchschnitten von Straßen und Autobahnen.
Wald wird "über Gebühr" genutzt
Wer am Wochenende im Wald spazieren gehen möchte, hat zurzeit ein bisschen das Gefühl, dass dort mehr Menschen als Bäume sind. Lena Schröcker, Geschäftsführerin des Deutschen Forstvereins (DFV), schätzt, dass seit dem Shutdown stellenweise über doppelt so viele Besucher wie sonst im Wald sind. "Wir merken, dass es einen Ansturm gibt", sagt sie. Im Grunde freue sie sich über das Interesse am Wald, gerade von der Stadtbevölkerung - solange sie sich vernünftig verhalte.
"Der Wald wird im Moment über Gebühr genutzt", beobachtet Köhrer. Und zwar nicht nur in den Ballungsräumen - auch im Hunsrück sei nach den Schneefällen der Andrang groß gewesen. Köhrer hat Verständnis:
Im Grunde freue er sich über das Interesse bei Menschen, die er nach 39 Jahren in seinem Revier nicht zur "Stammkundschaft" gezählt hat. Aber der Wald-Boom hat leider nicht nur positive Folgen.
Beliebte Ziele, wie der Nationalpark Eifel sind in der Corona-Pandemie überlaufen von Touristen.
Unruhe führt zu Wildunfällen
Schon nach dem ersten Shutdown zog der Präsident des Deutschen Jagdverbandes (DJV), Volker Böhning, traurige Bilanz: "Wenn mehr Leute im Wald unterwegs sind, entsteht auch mehr Unruhe. Das haben wir regional auch an den Wildunfällen gemerkt." Genaue Zahlen für die gesamte Corona-Zeit liegen noch nicht vor.
Gerade jetzt treffe der Besucher-Andrang im Wald das Wild in einer empfindlichen Phase. Anna Martinsohn vom DJV erklärt:
Schnelle Sprints, weil Mensch oder Hund sie aufschrecken sind für Reh, Hirsch oder Hase gefährlich - und auch für Autofahrer, wenn sie bis auf die Straße rennen.
Und: Die aufgeschreckten Tiere schaden auch wiederum dem Wald, erklärt Schröcker vom DFV. Denn die verbrauchte Energie müssen die Tiere wieder kompensieren. "Sie fressen dann alles, was sie finden können - auch die jungen Bäume, die wir so dringend im Kampf gegen den Klimawandel brauchen." Der Wald leide ohnehin seit den vergangenen Jahren unter Trockenheit und Borkenkäferschäden.
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Dämmerungszeit meiden
Zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten belegen die negativen Effekte der Störungen durch den Menschen. Das Schweizer Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaft in Zürich hat eine wissenschaftliche Studie (Effect of Recreational Trails on Forest Birds) an Waldwegen durchgeführt. Das Ergebnis: 13 Prozent meiden aufgrund der Störungen dauerhaft die Wege. Klaus Hackländer, Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung fordert kein generelles Fernbleiben aus dem Wald - aber mehr Rücksichtnahme. Er sagt:
Hackländer empfiehlt vor allem die Dämmerung zu meiden. Jogger*innen mit Stirnlampe würden Wildtiere in einer Zeit stören, in der sie eigentlich die Ruhe im Wald zur Nahrungssuche brauchen. Auch dürften Tiere nicht für Handyfotos verfolgt werden und Kinder sollten lernen, dass man im Wald nicht laut sein sollte.
Auf den Wegen bleiben, Hunde anleinen
Hackländer, Köhrer und Martinssohn empfehlen Wald-Besucher*innen vor allem: Unbedingt auf den Wegen bleiben und Hunde kurz anleinen. "Viele Menschen halten sich nicht ans Wegegebot", beobachtet Förster Köhrer. Gerade in der Corona-Pandemie wolle man natürlich anderen Menschen aus dem Weg gehen, immer mehr Trampelpfade entstehen. Auch beobachte er, dass Hunde offenbar wieder sehr in Mode gekommen sind - leider oft mit langer oder gar keiner Leine. Der Hund solle beim Anleinen aber nah beim Menschen bleiben und nicht anfangen zu stöbern, empfiehlt er.
Es sei dabei völlig egal, ob der Hund überhaupt fähig sei, Reh oder Hase zu verletzen oder zu töten, erklärt Martinsohn vom Jagdverband. Die Wildtiere schrecken auf jeden Fall hoch und verbrauchen überlebenswichtige Energie - und rennen im schlimmsten Fall bis auf die Bundes- und Landstraßen.