Party statt Kritik in Katar: Im Partymodus die WM genießen

    Party statt Kritik in Katar:Im Partymodus die WM genießen

    von Frank Hellmann, Doha
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    Es gibt viele Nationen, die die WM in Katar einfach genießen. Vor allem viele Südamerikaner wollen sich keine Kritik erlauben, sondern vor Ort einfach ein Fest feiern.

    Fans aus Ecuador
    Fans aus Ecuador sind vor Ort in Katar zahlreich vertreten.
    Quelle: epa

    Oscar Lopez hat sich ein Ritual angewöhnt. Immer wenn der Ecuadorianer mit seiner Frau Maribel fotografiert wird, zieht er sich schnell noch seine gestrickte Maske auf. Rot, orange, gelb, grün und blau - welche Farbe kommt eigentlich nicht vor? Die bunte Kostümierung gehört zum Wesenskern der Abertausend Anhänger, die "La Tri", wie das Team genannt wird, nach Katar begleitet haben. Mit großer Leidenschaft und voller Inbrunst.
    Der in London lebende Südamerikaner sagt, dass er sich diese WM unmöglich entgehen lassen konnte. 2018 war Ecuador nicht qualifiziert. "Wir spielen nicht so oft mit, deshalb wollte ich unbedingt dabei sein." Würde er noch in der Heimat wohnen, hätte das Fan-Package mit dem Flug aus Quito rund 20.000 Euro gekostet, jetzt ist er mit ungefähr der Hälfte hingekommen - um zehn Tage dieses Turnier und fünf Spiele mitzuerleben. Es werden keine Kosten und Mühen gescheut.

    20.000 Ecuadorianer im WM-Stadion gegen die Niederlande

    Er schätzt, dass mindestens 20.000 Landsleute beim zweiten WM-Auftritt gegen die Niederlande (1:1) dabei waren. Die "Oranjes" hatten auf dem Rasen und den Rängen im Khalifa Stadium wenig zu melden. Anders als beim Auftakt gegen Katar (2:0) ersparte sich der Anhang aus Ecuador auch homophobe Schmähgesänge auf die Chilenen. Deswegen hat die FIFA ja ein Disziplinarverfahren gegen den Verband eingeleitet.
    Fans aus Ecuador
    Oscar Lopez mit Strickmaske und seiner Frau Maribel.
    Quelle: ZDF/Frank Hellmann

    Wie wichtig dem Land mit seinen knapp 18 Millionen Einwohnern diese WM ist, zeigt, dass Schulen und Universitäten am Freitag geschlossen blieben. Auch Schüler, Studenten und Lehrer müssten "zum Zugehörigkeitsgefühl, zur nationalen Einheit und zum ecuadorianischen Stolz beitragen", hieß es. Während in Deutschland Millionen Menschen nicht einschalten, werden anderswo auf der Welt die Bürger angehalten, Fußball zu schauen.

    Aus Lateinamerika kommen viele Ticketbestellungen

    Wie schon bei der WM 2018 in Russland prägten die Südamerikaner auch im Emirat das Erscheinungsbild. Ihre Fröhlichkeit ist ansteckend, ihre Begeisterung für Fußball grenzenlos. Unter den zehn Ländern mit den meisten Ticket-Bestellungen befinden sich unter anderem Mexiko, Argentinien und Brasilien. Gefühlt fast die Hälfte der 88.103 Besucher im imposanten Lusail Stadium bei Brasilien gegen Serbien (2:0) trug am Donnerstagabend kanariengelbe Trikots.
    Am selben Tag strömten nach offiziellen Angaben noch 98.000 Besucher zum Fan Festival in den Al Bidda Park, der Park lockt mit seinem Blick auf die Hochhaus-Silhouetten von Doha. Das weitgehend durchgesetzte Alkoholverbot scheint gar nicht mehr groß zu stören. Die Stadien sind bestens gefüllt. Nach der ersten Phase der Gruppenspiele vermeldete die FIFA eine Auslastung der Stadionkapazitäten von 94 Prozent.

    Die Grundhaltung ist: Keine Belehrungen erteilen

    Von den mehr als drei Millionen verkauften WM-Tickets gingen die meisten an Staatsbürger von Katar, der USA und Saudi-Arabien. Großbritannien kam an vierter Stelle - die Anhänger von England leben ihre Leidenschaft jetzt auch vor Ort voll aus. Wie die Südamerikaner scheinen sie das Motto zu befolgen: Wenn die WM jetzt hier stattfindet, machen wir das Beste daraus.

    In England hat das Auftaktspiel der WM in Katar gegen Iran (6:2) auf ein verändertes Nutzerverhalten der Fußballfans hingewiesen. Bei der BBC-Übertragung zur Lunchtime sahen am Montag im Schnitt 7,8 Millionen im linearen Fernsehen zu. Parallel wurde es acht Millionen Mal sowohl auf der iPlayer-Plattform als auch auf der Website von BBC Sport gestreamt. Zusammengerechnet wurde also fast die Größenordnung wie beim ersten Spiel der WM 2018 in Russland erreicht, als den Last-Minute-Sieg gegen Tunesien (2:1) in der Spitze 18,6 Millionen zur Primetime bei der BBC sahen.

    Schwellenländer haben ohnehin eine Grundhaltung mitgebracht, die Oscar Lopez so beschreibt: Er verschließe nicht die Augen vor der Kehrseite, habe viel über die Ausbeutung der Arbeitsmigranten gelesen, aber er möchte das hier nicht ansprechen, denn:

    In Südamerika haben viele Menschen ihre eigenen Probleme mit der Regierung, mit der Korruption, mit der Zerrissenheit. Es steht uns einfach nicht zu, den Gastgeber zu belehren.

    Oscar Lopez, Fan Ecuadors

    Er hat die letzten Tage viel Fußball geschaut und viele Menschen anderer Kulturen getroffen, "das bringt am meisten für die Verständigung." Die Komprimierung der WM auf den Großraum Doha ermöglicht viele Kontakte. Der Trip in die Wüste, sagen er und seine Frau schon vor ihrer Abreise am Sonntag, habe sich auf jeden Fall gelohnt. Zurück in London wird dann weitergeschaut. Und wenn Ecuador antritt, kommt natürlich auch die Maske wieder auf.
    Zwei Männer im Deutschlandtrikot sitzen am Strand von Doha. Im Hintergrund sieht man die beleuchtete Stadt.
    Am Sonntag spielt die Fußballnationalmannschaft gegen Spanien. Clemens und Christian sind zwei von nur wenigen Deutschen, die zur WM nach Katar gereist sind. Sie wollen sich vor Ort selbst einen Eindruck verschaffen.25.11.2022 | 1:47 min

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