Bleiberecht: So steht es um Geduldete in Deutschland

    Interview

    Bleiberecht für Geflüchtete:So steht es um Geduldete in Deutschland

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    Während die UN den "Tag der Migranten" ausruft, beschließt Deutschland ein neues Gesetz für Geduldete. Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW e.V. über die neuen Bleibeperspektiven.

    Geduldete Menschen in Deutschland
    Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW e.V. im Gespräch mit Volle-Kanne-Moderatorin Andrea Ballschuh. 12.12.2022
    Weltweit verlassen Millionen Menschen ihr Zuhause, um in Sicherheit zu leben. Die Aufnahmeländer stellt das vor logistische und rechtliche Herausforderungen. Um darauf aufmerksam zu machen, rufen die Vereinten Nationen seit Jahrzehnten den 18. Dezember als "Tag der Migranten" aus. Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates NRW e.V., berichtet über Schwierigkeiten bei der Integration in Deutschland und was das neue Chancen-Aufenthaltsgesetz wirklich bringt.
    ZDFheute: Wer darf in Deutschland bleiben und wer nicht?
    Birgit Naujoks: Wir haben bei Menschen aus der Ukraine eine Sondersituation, weil da ein generelles Schutzverfahren ermöglicht wird. Andere Menschen müssen immer ein individuelles Asylverfahren durchlaufen, bei dem dann festgestellt wird, ob sie rechtlich Schutz bekommen oder nicht.
    Das hat nicht immer was mit Gerechtigkeit zu tun. Es sind menschliche oder rechtliche Entscheidungen. Vielen wird Schutz gewährt: Über die Hälfte der Menschen, die zu uns kommen, bekommen den ihnen zustehenden Schutz.
    ZDFheute: Was soll das neue Chancen-Aufenthaltsgesetz bewirken?
    Birgit Naujoks: Wir haben eine hohe Zahl von Menschen mit Duldung in Deutschland, die schon mehr als fünf Jahre hier leben. Das sind im Moment etwa 140.000 Menschen. Diesen soll eine Chance gegeben werden, eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen.

    Weil vieles mit einer Aufenthaltserlaubnis leichter geht als mit einer Duldung - beispielsweise Arbeit finden, einen Pass besorgen - probiert man es jetzt mit einer Probeaufenthaltserlaubnis.

    Birgit Naujoks, Geschäftsführerin Flüchtlingsrat NRW e.V.

    Nach 18 Monaten sollen die Menschen die Bedingungen für ein dauerhaftes Bleiberecht erfüllen.



    ZDFheute: Können Geduldete noch abgeschoben werden, bevor das neue Gesetz in Kraft tritt?
    Birgit Naujoks: Tatsächlich gibt es entsprechende Tendenzen in einigen Bundesländern wie Bayern, Sachsen oder Sachsen-Anhalt. In der Hälfte der Bundesländer sind allerdings sogenannte Vorgriffsregelungen erlassen worden, um zu verhindern, dass Menschen abgeschoben werden, bevor das neue Gesetz in Kraft tritt. Da kommt es dann auf die Praxis der einzelnen Ausländerbehörden an.

    Es kommt immer wieder dazu, dass Menschen abgeschoben werden, das soll eigentlich nicht der Fall sein.

    Birgit Naujoks, Geschäftsführerin Flüchtlingsrat NRW e.V.

    ZDFheute: Wie bewerten Sie das neue Gesetz?
    Birgit Naujoks: Das Gesetz ist mehr die Einsicht, dass eine Duldung für alle Betroffenen - für die hiesige Gesellschaft als auch für die Geflüchteten - keine gute Lösung ist und nicht auf Dauer haltbar ist. Eine Einsicht, dass man den Menschen irgendwann eine Perspektive geben muss.
    Die Bundesregierung hat selbst ausgerechnet, dass von diesen 140.000 Menschen, die potenziell begünstigt sein könnten, letztendlich vielleicht 33.000 Menschen profitieren werden. Das ist eine geringe Zahl und deswegen wird es nicht die endgültige Lösung sein.
    ZDFheute: Wo sehen Sie Hürden für Geflüchtete, sich hier zu integrieren?
    Birgit Naujoks: Die rechtlichen Möglichkeiten fehlen alleine schon. Sie haben keinen Zugang zum Integrationskurs während des Asylverfahrens oder mit einer Duldung. Sie brauchen eine Beschäftigungserlaubnis, wo viele Arbeitgeber Zweifel haben, weil nicht klar ist, ob derjenige bleiben kann.

    Und trotzdem wird von den Menschen erwartet, dass sie Deutschkenntnisse nachweisen, dass sie ihren Lebensunterhalt sichern können.

    Birgit Naujoks, Geschäftsführerin Flüchtlingsrat NRW e.V.

    Hinzu kommt, dass sie oft nicht mit der hiesigen Gesellschaft in Kontakt stehen, wenn sie in Landesaufnahmeeinrichtungen sind. Und das alles führt zu einer Situation, wo es einfach nicht geht, wo man nicht teilhaben kann.
    ZDFheute: Sind Ressentiments gegenüber Geflüchteten ein Problem?

    Es ist immer ein Problem, wenn bestimmte Gruppen von Menschen ausgegrenzt werden, aus welchem Grund auch immer.

    Birgit Naujoks, Geschäftsführerin Flüchtlingsrat NRW e.V.

    Birgit Naujoks: Wir haben verschiedene Stimmungen in der Bevölkerung erlebt, in den letzten Jahren. Die Politik ist da leider auch kein gutes Beispiel und müsste klare Position beziehen.
    Bundesinnenministerin Faeser sollte sich von solchen Äußerungen wie: "Wir müssen die illegale Migration bekämpfen, um Schutzsuchende aus der Ukraine stützen zu können", distanzieren. Damit eben auch der Bevölkerung ein deutliches Zeichen gegeben wird: "Wir sind eine offene Gesellschaft. Wir erfüllen unsere rechtlichen Vorgaben, dass wir Menschen Schutz bieten, den sie benötigen".
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    Nach der Flucht
    :Chancen für junge Geflüchtete

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    von Julia Ludolf, Arta Ramadani
    Ein Mann aus Somalia schweißt
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    Quelle: ZDF

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