Wie liberal ist das deutsche Abtreibungsrecht?

    Paragraf 218:Wie liberal ist deutsches Abtreibungsrecht?

    von Larissa Hamann
    29.06.2022 | 17:11
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    Das Werbungsverbot für Abtreibungen ist aufgehoben. Aber ein Schwangerschaftsabbruch ist immer noch illegal - wenn auch oft straffrei. Aktivistinnen wollen Paragraf 218 abschaffen.

    Hamburg: Eine Teilnehmerin einer Demonstration gegen die Paragrafen 218 und 219a. Archivbild
    Demonstration gegen die Paragrafen 218 und 219a in Hamburg.
    Quelle: Daniel Bockwoldt/dpa

    Der Oberste Gerichtshof in den USA kippt am Freitag das Abtreibungsrecht. Am selben Tag schafft in Deutschland der Bundestag den Paragraf 219a, der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verbietet, ab. Ist Deutschland so liberal bei Abtreibungen wie es scheint?
    Abtreibungen sind immer noch eine Straftat, das ist in Paragraf 218 geregelt. Dort steht: "Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Der Abbruch bleibt allerdings straffrei, wenn sich die Schwangere beraten lässt und nicht länger als zwölf Wochen schwanger ist.

    • Seit 1871 steht Paragraf 218 im deutschen Strafgesetzbuch und regelt die Strafen auf Abtreibung.
    • Schon während der Weimarer Republik gab es unter anderem SPD-Politiker:innen, die sich für eine Reform oder Abschaffung einsetzten.
    • Während der NS-Zeit stand die "Lebenskraft des Volkes" im Vordergrund. Das konnte bis zur Todesstrafe führen, etwa für Menschen, die fortgesetzt gewerbliche Abtreibungen machten. Ausnahmen gab es, um die Rassenpolitik durchzusetzen.
    • Nach der NS-Zeit wurde das Gesetz angepasst, insbesondere die Todesstrafe wurde gestrichen.
    • 1974 stimmte der Bundestag mit einer knappen Mehrheit für eine Reform des Paragrafen. Demnach war der Abbruch einer Schwangerschaft in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten straffrei, wenn er von einem Arzt nach vorheriger Beratung vorgenommen wurde.
    • Das Bundesverfassungsgericht stoppte jedoch die Neuerung, weil die Regelung zur Frist verfassungswidrig sei. 1976 verabschiedete der Bundestag eine Reform, die den Schwangerschaftsabbruch zwar verbot aber Ausnahmen ermöglichte - unter anderem aus medizinischen Gründen.
    • Zur Wiedervereinigung musste eine neue Regelung gefunden werden, weil in der DDR Abtreibungen innerhalb einer Frist straffrei waren.
    • Das Abtreibungsrecht, das heute gilt, ist eine Kombination aus einer Fristenregelung und Ausnahmen: Schwangerschaftsabbrüche sind rechtswidrig, bleiben in den ersten zwölf Wochen nach einer Beratung aber straffrei. Auch aufgrund von medizinischen oder kriminologischen Gründen kann abgetrieben werden.
    • Einige Politiker, so auch CDU-Chef Friedrich Merz, sind der Meinung, dass aufgrund dieses Kompromisses seitdem der Rechtsfrieden gewahrt wird.
    • Das Schwangerschaftskonfliktgesetz befasst sich mit der Beratung, die Bedingungen für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch ist.
    Quelle: bpb, Deutscher Bundestag, ZDF

    Yasmin Fahimi fordert Ende von Paragraf 218
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    Abtreibungen als Teil der Gesundheitsversorgung?

    Aktivist:innen setzen sich dafür ein, dass der Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird. "Dass das eine Straftat ist, sendet ein Signal an die Gesellschaft", kritisiert Kate Cahoon, die seit acht Jahren beim Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung ist.

    Das steht direkt nach Mord, das ist heftig moralisierend.

    Kate Cahoon

    Cahoon und das Bündnis setzen sich dafür ein, dass Abtreibungen in einem anderen Bereich geregelt werden - "als Teil der Gesundheitsversorgung." Auch die Juristin und Politikwissenschaftlerin Sabine Berghahn kritisiert die aktuelle Rechtslage. "Die Frau kann nicht gerechtfertigt handeln. Sie bleibt eine Sünderin."

    Kritik an immer weniger werdenden Ärzten

    Laut Cahoon gebe es keine ausreichende medizinische Versorgung bei Schwangerschaftsabbrüchen. "Die Situation ist problematisch in Deutschland. Die Gründe dafür lassen sich auch auf den Paragraf 218 zurückführen." Valentina Chiofalo, Juristin bei Doctors for Choice, die sich für eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen einsetzen, bestätigt das.

    Die Ärzt:innen haben hohe Hürden. Wenn der Trend weitergeht, wird es schwierig werden Ärzt:innen zu finden.

    Valentina Chiofalo

    Die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch werden derzeit in Deutschland nur bei medizinischen Gründen, beispielsweise Lebensgefahr, oder kriminologischen, wie etwa Vergewaltigung, von der Krankenkasse übernommen. "Zugang zum Schwangerschaftsabbruch sollte keine Kostenfrage sein", fordert Cahoon.

    Ampel-Regierung setzt Kommission zur Prüfung ein

    Auch SPD und Grüne wollen Paragraf 218 streichen, ebenso die Linke. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) kündigte eine Kommission rund um das Abtreibungsverbot an.
    "Das ist schon ein erster Schritt, aber das reicht noch nicht aus", verlangt Cahoon. "Wir erwarten konkrete Schritte zur Legalisierung", so die 33-Jährige. Auch Politikwissenschaftlerin und Juristin Berghahn ist kritisch.

    Die Kommission ist nur ein Anfang. Sie wird eingesetzt, aber wer weiß, was und wie viel sie erreichen kann, bevor die Legislaturperiode vorbei ist.

    Sabine Berghahn

    Es brauche eine gemeinsame Aktion von Jurist:innen, Politker:innen und Soziolog:innen, die sich mit der Einstufung von Embryo und schwangerer Frau befassen.
    "Eine gut besetzte Kommission, kreativ und rechtlich versiert, könnte eine Lösung finden, dass Schwangerschaftsabbrüche reglementiert sind aber keine Straftat", hofft Juristin Chiofalo. Um Paragraf 218 zu streichen, brauche es eine einfache politische Mehrheit, das heißt, die Ampel könne das entscheiden. Die neue Regel könne dann beispielsweise in das Schwangerschaftskonfliktgesetz aufgenommen werden.
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    AfD und Union gegen Legalisierung

    Die FDP - die im Moment mit Marco Buschmann den Justizminister stellt - setzte sich zwar auch für die Abschaffung des Werbungsverbotes ein. Laut Cahoon könne es aber bei Paragraf 218 schwierig werden. Buschmann trennte in seiner Rede im Bundestag anlässlich der Abschaffung von Paragraf 219a die beiden Paragrafen klar.
    CDU-Chef Friedrich Merz warnt vor einer Gefährdung des gesellschaftlichen Friedens:

    Wir haben in den strafrechtlichen Regelungen über den Schwangerschaftsabbruch in diesem Land für Jahrzehnte für gesellschaftlichen Frieden gesorgt. Und dabei sollte es bleiben.

    Friedrich Merz

    Die Unionsabgeordnete Dorothee Bär (CSU) warnte davor, dass der Wegfall von 219a nur ein erster Schritt sei, den gesamten Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Der AfD-Abgeordnete Thomas Seitz warf der Ampel-Koalition im Bundestag vor, für sie habe "der Schutz des ungeborenen Lebens überhaupt keinen Stellenwert".

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