Oksana Mykhalchuk ist geflohen – nicht vor den Bomben, sondern vor einer zerstörten Zukunft. Es bringe nichts, sich aufzuopfern und dabei selbst zugrunde zu gehen, sagt sie.
Unter den Geflüchteten aus der Ukraine sind viele sehr gut ausgebildete Menschen. So wie die Radiologin Oksana Mykhalchuk aus Charkiw. In Deutschland hofft Mykhalchuk, bald wieder als Ärztin arbeiten zu können.
Oksana Mykhalchuk ist eine Macherin – engagiert, ehrgeizig, gut ausgebildet. Die Ärztin ist vor zwei Wochen aus der Ostukraine nach Deutschland geflohen – nicht wegen der Bomben, sondern weil sie nicht hinnehmen will, dass man ihr ihre Zukunft raubt. Jetzt ist die Radiologin in Stade – und dort als Ärztin sehr willkommen. Mit ihrem Leben in der Ukraine musste sie schnellstmöglich abschließen.
Ärztin unter Beschuss
Die erfahrene Ärztin behandelt in der ostukrainischen Stadt Charkiw viele Krebspatienten. Als sich immer weniger Menschen vor die Tür trauen, macht sie Hausbesuche – und fährt täglich mitten durch den Bombenhagel.
Ihre eigene Wohnung wird zerstört, sie zieht ins Krankenhaus, ist Tag und Nacht im Einsatz. Ununterbrochen bemüht sich die 44-Jährige um Medikamente und Essen für 120 Menschen in der Klinik.
Gemüse selbst angebaut und kiloweise Eintopf für Patienten gekocht
Als die Lebensmittel knapp werden, fängt sie an, Gemüse anzubauen – in einem Garten, der jederzeit von einer Rakete getroffen werden kann: "Was sollte ich denn machen? Meine Patienten und wir mussten schließlich irgendetwas essen."
Und dann das: Über einen Bauern bekommen sie eine Tonne Schweinefleisch. Der Bauernhof wurde angegriffen, das Fleisch konnte nicht gekühlt, geschweige denn weiterverarbeitet werden. Mykhalchuk nimmt es dankbar an – und verwandelt den Speisesaal im Krankenhaus in eine Großküche: "Wir haben eine Woche gebraucht, um es zu verarbeiten – braten, einfrieren und einkochen. In einem Lebensmittelladen haben wir 100 Kilogramm Salz ergattert für den Eintopf. Die ganze Stadt haben wir nach Gläsern abgesucht, um es abzufüllen. Aber so haben die Menschen im Krankenhaus jetzt etwas zu essen", erzählt Mykhalchuk.
Und fügt hinzu: "Davor war ich Vegetarierin – aber das war dann auch vorbei."
Aus der Ostukraine nach Norddeutschland
Die Versorgung wird immer schwieriger. Die Situation im Krankenhaus - fast unerträglich. Nach drei Monaten Krieg entscheidet sich die Ärztin zu fliehen. Es bringe nichts, sich aufzuopfern und am Ende selbst zugrunde zu gehen.
Ihr Ehemann bleibt in Charkiw, die gemeinsame Tochter lebt schon länger in Warschau. Oksana Mykhalchuks Kollegin Olga und deren Tochter Katya kommen mit ihr mit:
Benzin beim Militär ergattert
Ihr Ziel: Stade in Niedersachsen. Von dort hat ein Arzt Kontakt zu der Radiologin aufgenommen, nachdem er ihre Geschichte im ZDF gesehen hatte. Um aus Charkiw zu kommen, brauchen sie vor allem eins: Benzin. Mangelware in der Ukraine.
"Wir haben einen Mann vom Militär gefragt: Bitte gib uns einen Kanister Benzin! Denn in Charkiw gibt es kein Benzin mehr", erinnert sich Mykhalchuk.
Arzt in Deutschland hilft
Sie schaffen es bis nach Stade. Hier arbeitet Dr. Sergej Popovich. Er ist in der Westukraine aufgewachsen, hat in Odessa studiert, 2003 gingen der Radiologe und seine Frau nach Hamburg. Als er von Oksana Mykhalchuk erfährt, will er sie sofort kennenlernen.
"Egal wo wir sind, wir müssen zusammen kämpfen. Das hat auch unser Präsident Selenskyj gesagt", erklärt er.
Klinik in Stade gibt neue Hoffnung
So viel Mitgefühl hat die Ärztin nicht erwartet. Und schöpft neue Hoffnung: "Diese Klinik motiviert mich sehr. Ich weiß, dass ich mich noch etwas weiterbilden muss, aber ich hoffe, dass der Klinikchef auf mich wartet. Wenn er mir eine Chance gibt, werde ich alles dafür tun."
Wenn es nach ihrem Kollegen ginge, würde man sie so schnell wie möglich einstellen: "Sie hat sehr gute Chancen als Radiologin hier, das kann ich schon mal sagen."
Leben in der Ukraine ist vorbei
Ein Leben in der Ukraine – das kann sich Oksana Mykhalchuk nicht mehr vorstellen. Ihr Leben dort sei seit dem 24. Februar vorbei: "Wenn wir das Land vor dem Krieg verlassen hätten, würde ich es vielleicht vermissen. Aber so nicht. Jetzt denke ich nur noch an meine Zukunft."
Der Krieg habe ihr schon so viel genommen. Aber ihre Zukunft als Ärztin will sie sich nicht nehmen lassen.
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