Wahlerfolg der AfD in Niedersachsen: "Wir sind wieder da"
AfD-Wahlerfolg in Niedersachsen:"Wir sind wieder da" - mehr isoliert denn je
von Rebecca Bück und David Gebhard
10.10.2022 | 22:05
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Die AfD fährt in Niedersachsen einen Wahlerfolg ein und sieht sich auf dem Weg zu neuer Stärke. Die Partei versucht erst gar nicht mehr, bündnisfähig zu werden.
Berlin: Tino Chrupalla (l), AfD-Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der AfD, und Stefan Marzischewski-Drewes, AfD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Niedersachsen.
Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Auch nach bald drei Jahren im Amt des Parteivorsitzenden macht Tino Chrupalla noch neue Erfahrungen: Wie es sich anfühlt, einen Wahlsieg verkaufen zu können. Nach zehn Urnengängen in Bund- und Ländern, bei denen stets Minus-Balken erklärt werden mussten, kann Chrupalla nun über satte Gewinne reden. Plus 4,7 Prozent, zweistellig (10,9 Prozent) und doppelt so viele Mandate im niedersächsischen Landtag für die AfD.
Parteichef Chrupalla sieht "Trendwende, auch im Westen"
Chrupalla spricht von einem "sensationellen Ergebnis" und attestierte seiner Partei:
Die Trendwende, auch im Westen, ist damit eingeläutet.
Tino Chrupalla, AfD-Vorsitzender
Niedersachen ist traditionell ein hartes Pflaster für die Partei, die dort über Jahre einen tief gespaltenen Landesverband hatte. Lange ging die Sorge um, dass sie nach Schleswig-Holstein in einem zweiten Nord-Bundesland an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnte. Dann kamen die Energiekrise, der heraufbeschworene "heiße Herbst" und Morgenluft für die kränkelnde AfD.
Dass der Wahlerfolg weniger aus eigener Stärke erreicht wurde, sondern man eher die Rolle des "Krisengewinners" hat, räumen selbst AfDler ein. Etwa der ehemalige Landeschef Armin-Paul Hampel, der in einer internen Chatgruppe resümiert:
AfD-Wähler in Niedersachsen unzufrieden mit Bundespolitik
Laut Analyse der Forschungsgruppe Wahlen wurde die AfD für 20 Prozent der Befragten wegen ihrer "politischen Forderungen", aber zu 71 Prozent als "Denkzettel" gewählt, wobei sich die Unzufriedenheit im AfD-Lager vor allem gegen die Politik und die Protagonisten im Bund richte.
Gründe für AfD-Wahl
Quelle: ZDF
"Natürlich spielt auch das Handeln und auch die Zerstrittenheit, die wahrgenommene Nicht-Effektivität bei der Krisenlösung der Bundesregierung eine Rolle", glaubt Matthias Quent, vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft. Der Mobilisierungseffekt eines latent rechten oder rechtsradikalen Milieus erkläre sich wohl zu einem großen Teil damit, "dass es die Wahrnehmung gibt, man müsse etwas gegen die da oben tun, bevor alles noch schlimmer wird", so der Soziologe.
Dass es schlimmer wird, sei sogar im Interesse der AfD, räumt ein Mitglied des Bundesvorstands erst kürzlich vor einem versehentlich offen gelassen Mikrofon ein: Harald Weyel war es, der sagte, dass die Gaskrise "hoffentlich" schwerwiegend werde, denn "wenn’s nicht dramatisch genug wird, dann geht’s so weiter wie immer". Ein Fauxpas, der einer Meinung Öffentlichkeit bescherte, die man in der AfD sonst nur hinter vorgehaltener Hand vernimmt.
Die Lust am Tabubruch
Doch anders als in früheren AfD-Zeiten löst so etwas keinen innerparteilichen Streit mehr aus. Insofern hat Chrupalla recht, wenn er davon spricht, die Bundespartei habe einen Anteil am Wahlerfolg in Niedersachsen, weil man geschlossen aufgetreten sei.
Man hat sich eingerichtet in der rechtsradikalen Schmuddelecke, in der die Partei allerspätestens seit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz wegen des Verdachts auf rechtsextremistische Bestrebungen, von den Mitbewerbern verortet wird. Es ist eine regelrechte Lust am Tabubruch erkennbar. Die roten Linien, die in der Spät-Meuthen-Ära eingefordert wurden, sind ausradiert.
Antisemitismus-Vorwurf nach AfD-Demo
Die AfD arbeitet sich zunehmend ungeniert an einem neuen Feindbild ab, den USA und den sogenannten "Globalisten". Auf ihrer Demo am Samstag in Berlin wurden Schilder mit der Aufschrift "Ami go home" hochgehalten, ein Redner des Bundesvorstands sprach von Außenministerin Baerbock als "globalistische Sprechpuppe", was das jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus als "antisemitischen Code" einordnet.
Gut eine Woche zuvor hatte der thüringische Landeschef Björn Höcke, der als Rechtsextremist eingestuft wird, bei einer Demo-Rede über den russischen Angriff auf die Ukraine gesagt: "Im Kern ist es ein Krieg, ein Kampf der USA gegen Russland!" Das "Regenbogen-Imperium, mit den USA als Kernland und der Bundesrepublik als wichtigstem Brückenkopf in Europa", wolle die Zerstörung der Nation durch Masseneinwanderung. Diesem "Regenbogenregime" sei "unser grandioses historisches Erbe" nicht heilig.
Putin dagegen sei es gewesen, der sich der NATO-Mitgliedschaft der Ukraine "entgegenwarf". Rechtfertigungen für Putins Angriff, von einem, der die AfD vor sich hertreibt. "Man muss dazu im Blick halten, dass die AfD nicht nur an Quantität gewonnen hat, sondern dass sie sich radikalisiert hat", warnt Matthias Quent.
Es ist im Grunde eine Höcke-Partei.
Matthias Quent, Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft
Viele AfD-Anhänger haben eine Neigung zu Verschwörungstheorien rund um den Ukraine-Krieg, zudem sehen viele die Geflüchteten von dort kritisch. Das zeigen Ergebnisse einer Umfrage.
Kreml-nahe Positionen in der AfD geduldet
Der zelebrierte Schulterschluss mit Putins autoritärem Regime und Gesellschaftsmodell stört kaum noch jemanden in der AfD. Selbst der Niedersächsische Spitzenkandidat Marzischewski-Drewes, der als bürgerlich wahrgenommen wird, duldet Narrative, die Putins Propaganda transportieren. Angesprochen auf Äußerungen von Höcke und Getreuen, die "raumfremde Macht" in der Ukraine sei die USA nicht Russland, der eigentliche Aggressor nicht Putin, sondern die Amerikaner, sagte er:
Die AfD steht für Freiheit, auch für freie Meinungsäußerungen, exakt so ist es.
Marzischewski-Drewes, AfD-Spitzenkandidat in Niedersachsen
AfD als Krisenprofiteur, aber politisch isoliert
Und Parteichef Chrupalla antwortet auf die Frage, ob es für ihn bei der Bewertung des Kriegsgeschehens einen Unterschied mache, dass sich die Ukraine gegen ihren Angreifer Russland verteidige:
Im Krieg sterben Menschen auf beiden Seiten, viele Menschen. Und ich werde jetzt nicht anfangen das eine gegen das andere moralisierend auszuspielen.
Tino Chrupalla, AfD-Vorsitzender
Die AfD profitiert von Krisen, sie weiß Ängste zu schüren und zu mobilisieren. Der russische Angriffskrieg und die daraus resultierende Energiekrise spielen ihr derzeit in die Hände. "Wir sind wieder da", frohlockt der Parteichef. Da und gleichzeitig politisch isoliert wie wohl nie zuvor.