In drei Wochen sollen die USA laut dem Taliban-Abkommen aus Afghanistan abziehen. US-Präsident Joe Biden wägt noch ab. Können die afghanischen Sicherheitskräfte allein bestehen?
Bald 20 Jahre bilden internationale Soldaten nun die afghanischen Sicherheitskräfte aus. Eine Sache haben sie ihnen bis heute nicht austreiben können: Kaum geht ein Gefecht los, stürmt der Kommandeur nach vorne – bis hinauf zu den Brigadekommandeuren.
Ihre militärischen Berater aus den USA, Deutschland und anderen Nato-Ländern schütteln dann nur die Köpfe. "Sie sind sehr mutig", erinnert sich Oberst a.D. Ferdinand Baur, der drei Mal für die Bundeswehr in Afghanistan war. "Sie sind dann aber auch die ersten, die fallen."
Unterstützung für Polizei, Armee und Geheimdienst
Bereits kurz nach der Vertreibung des Taliban-Regimes im Jahr 2001 begannen internationale Soldaten, die afghanische Polizei, Armee und den Geheimdienst aufzubauen und auszubilden. Das Ziel: Sie sollten so rasch wie möglich selbst ihr Land verteidigen können.
Am 1. Mai könnten nun die USA und mit ihnen Nato-Partner wie Deutschland aus Afghanistan abziehen. Das sieht der USA-Taliban-Deal vor, der noch unter US-Präsident Donald Trump mit den Islamisten ausgehandelt worden war. Die neue US-Regierung unter Joe Biden wägt noch ab, ob sie die verbliebenen 2.500 Soldaten nach Hause holt.
Kaum Informationen zum wahren Zustand der Sicherheitskräfte
Immer mehr Afghanen stellen sich nun die Frage, ob die eigenen Sicherheitskräfte das Land halten können. Der Zustand der afghanischen Streitkräfte wird von den USA weitgehend als militärisches Geheimnis eingestuft.
Deutlicher ist hier die Einschätzung des deutschen Verteidigungsministeriums zu den afghanischen Sicherheitskräften:
- AKK: Gefahr für Bundeswehr in Afghanistan
Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer sieht die in Afghanistan stationierten deutschen Soldaten in Gefahr. Ihr Ziel bleibe ein geordneter Abzug der Bundeswehr.
Militärberater hatten nur begrenzt Erfolg
Abertausende Berater, militärische wie zivile, haben in den vergangenen zwei Dekaden versucht, die afghanischen Sicherheitskräfte zu einer schlagkräftigen Truppe auszubilden. "Ihr Erfolg scheint allerdings sehr unterschiedlich gewesen zu sein", sagt der Afghanistan-Analyst Andrew Watkins von der International Crisis Group.
Beim Aufbau der afghanischen Spezialeinheiten habe dies besser funktioniert, bei regulären Truppen und Polizei weniger. Das lag auch an schlecht übersetzten Lernmaterialien und fehlendem kulturellen Verständnis. Oft wurden die Afghanen als dumm abgestempelt, wenn sie nicht durch die mitgebrachte Ideologie formbar waren.
Hohe Todesraten und grassierende Korruption
Als größte Erfolge sehen Experten die afghanischen Spezialkräfte und die Luftwaffe an. "Beide Elemente sind gerade aufgrund der intensiven Unterstützung durch die USA und die Nato stark", sagt der Experte Watkins. Sie seien aber auch besonders auf ausländische Vertragsarbeiter angewiesen, etwa bei der Wartung. Diese 18.000 Personen müssten ebenfalls abziehen.
Laut dem US-General Austin Scott Miller brauchen die Afghanen neben der Luftunterstützung die meiste Hilfe im Bereich Logistik. Bei dieser hapert es aufgrund der massiven Korruption. Einheiten in abgelegenen Gebieten erfinden gerne Angriffe und fordern Munitionsnachschub an - um diesen dann am Schwarzmarkt zu verkaufen.
Und nicht zuletzt die horrenden Todesraten: Weiter kommen täglich Dutzende Sicherheitskräfte in Gefechten um.
Letztlich könnte Afghanistan auch politisch scheitern
Viele sicherheitspolitischen Elitenvertreter Afghanistans glauben dennoch, alle Gebiete weiterhin halten zu können. Schon seit dem Taliban-Deal würden sich keine US-Kräfte mehr an offensiven Operationen gegen die Taliban mehr beteiligen.
Es gibt aber auch Pessimisten, die von noch höheren Opferzahlen ausgehen. Kollabieren könnte der afghanische Staat aber auch aus politischen Gründen. Bei innerpolitischen Turbulenzen hilft auch der Mut der Kommandeure nicht.
- Afghanistan: Die Angst vor dem Chaos
Die Bundeswehr bleibt in Afghanistan: Der Bundestag verlängerte am Abend das Mandat. Die Taliban drohen jetzt mit einem "großen Krieg".