Ein Untersuchungsausschuss soll die chaotische Evakuierungsmission aus Afghanistan aufarbeiten. Die rund 10.000 verbliebenen Ortskräfte hoffen auf eine Ausreise nach Deutschland.
Eine Wohnung des Sozialamts in Bad Schwartau in der Nähe von Lübeck. Die Fotos, die Mohammad Yasin vor sich auf dem Couchtisch des karg eingerichteten Wohnzimmers ausgebreitet hat, machen ihn stolz, wehmütig, aber auch wütend. Sie zeigen ihn Arm in Arm mit deutschen Bundeswehrsoldaten in Masar-e Scharif, zwölf Jahre hat er als Wachmann für die Sicherheit der Deutschen gesorgt.
Doch als es im Sommer 2021 zum Abzug und dann zur chaotischen Evakuierung aus Afghanistan kam, waren die Deutschen nicht für ihn da. Tage wartete er mit seiner Familie am Flughafen von Kabul, doch die Flugzeuge nahmen ihn nicht mit, obwohl er eine Aufnahmezusage hatte.
Erst später brachte das Patenschaftsnetzwerk Afghanistan die Familie über Iran aus dem Land:
Ortskräfte-Verfahren schließt volljährige Kinder aus
In Sorge sind er und seine Frau Amena heute vor allem um die drei volljährigen Söhne, die in Afghanistan verbleiben mussten - das Ortskräfte-Verfahren sagt volljährigen Angehörigen keine Aufnahme zu.
Mohammad hat Angst, dass die Taliban herausfinden, dass sie die Söhne eines ehemaligen Mitarbeiters der Bundeswehr sind. Versteckt halten sich seine Söhne in Afghanistan, aus Angst vor Folter oder Schlimmerem. Eine Zukunft sehen sie für sich nicht im Afghanistan der Taliban.
Im Sommer 2021 erobern die Taliban Kabul. Tausende Menschen versuchen zu fliehen – darunter auch viele ehemalige Ortskräfte, die jetzt im Visier der Taliban sind.
Untersuchungsausschuss arbeitet Afghanistan-Abzug auf
Ein Untersuchungsausschuss - eingesetzt von den Ampelparteien und der Union - soll nun die Zeit des hektischen Abzugs und der chaotischen Evakuierungsmission vom vergangenen Sommer kritisch aufarbeiten: die Monate und Wochen, in denen Afghanistan als Staat zusammenbrach und mit ihm sämtliche Hoffnungen westlicher Staaten auf eine wachsende Demokratie.
Politisches Versagen vor den Augen und den Kameras der Welt. Was lief schief, wer trägt Verantwortung - Kanzleramt, welches Ministerium, die Bundeswehr? Wer hat das falsche Lagebild erstellt, das die Taliban so drastisch unterschätzt und die afghanische Armee so drastisch überschätzt hat?
Warum wurde nicht bei ersten warnenden Stimmen evakuiert? Warum hat Deutschland die, die die deutschen Institutionen treu unterstützt hatten, in großen Zahlen zurückgelassen, bewusst und wissentlich? War es Inkompetenz, schlechte Kommunikation zwischen den Regierungsstellen, überbordende Bürokratie - oder politischer Wille?
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Noch rund 10.000 Ortskräfte in Afghanistan
Das Patenschaftsnetzwerk schätzt, dass noch rund 10.000 Ortskräfte in Afghanistan sind - solche mit einer Aufnahmezusage, auch Beschäftigte von Subunternehmen ohne Aufnahmezusage, oder die, deren Arbeitsvertrag vor 2013 endete und die damit nicht antragsberechtigt sind.
Qais Nekzai vom Patenschaftsnetzwerk, der selber mal als Ortskraft tätig war, ist in Kontakt mit vielen von ihnen. Er hört nichts Gutes. Sie leben in Angst vor den Taliban, gehen kaum aus dem Haus. In den Augen der Talilban sind sie Verräter.
In weiten Teilen Afghanistans herrscht extreme Dürre und mit Beginn des Winters droht eine Hungerkatastrophe. Vor allem Kinder sind akut vom Hungertod bedroht.
Versprechen der Politik sind verpufft
Nekzai setzt darauf, dass mit dem U-Ausschuss das Thema Ortskräfte wieder mehr in den Fokus rückt.
Groß war das Thema in Sommer und Herbst des vergangenen Jahres, groß waren die Versprechen der Politiker, die Afghanen, die auf der Flucht vor den Taliban sind, nicht zu vergessen. Merkel, Scholz, Maas, die Grünen noch als Oppositionspartei - alle schworen, die verbliebenen Ortskräfte nach Deutschland zu holen.
Dann kam der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und Augenmerk und Spendengelder der Welt gehen seither dorthin. Nekzai sieht, mit welchem Engagement ukrainische Flüchtlinge hier aufgenommen werden, das wünscht er sich auch für afghanische Ortskräfte. Er sagt:
Wie wichtig ist den Parlamentariern das Thema Afghanistan?
Auch Mohammad hofft, dass dieser U-Ausschuss was verändern wird, vor allem das Ortskräfteverfahren. Dass künftig auch volljährige Kinder eine Aufnahmezusage bekommen und nach Deutschland in Sicherheit geholt werden können.
Tief in der Nacht, weit nach Mitternacht wurde der Ausschuss debattiert und eingesetzt in einer übervollen letzten Sitzungswoche des Bundestages vor der Sommerpause. Man könnte das als Zeichen interpretieren, wie hoch die Parlamentarier das Thema Afghanistan heute noch hängen.
Ines Trams ist Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.
- Afghanistan
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