Sieben Monate nach der Machtübernahme der Taliban wächst der Unmut der afghanischen Bevölkerung. Die Lage spitzt sich weiter zu, mit Beginn des Frühlings werden Unruhen erwartet.
Frauen und Männer in traditionellen Gewändern, farbenfrohe Fahnen überall im Land - das persische Neujahresfest "Nouruz" ist normalerweise das größte Volksfest in Afghanistan. Doch in diesem Jahr weichen feiernde Afghanen schwer bewaffneten Taliban.
Taliban unter Druck von vielen Seiten
Die vielen Verbote drücken die Stimmung im Land. Hinzu kommen Menschenrechtsverletzungen, Armut und Hunger. Die Taliban stehen unter Druck, doch es sind nicht die einzigen Probleme, die sie lösen müssen.
"Da wären außerdem die nationalen Widerstandskämpfer und die Bedrohung durch die Terrororganisation Islamischer Staat", erklärt der afghanische Politikwissenschaftler Ahmad Saeedi. "Hinzu kommen interne Auseinandersetzungen. Einige Taliban-Mitglieder, die an der Machtübernahme beteiligt waren, stellen nun Forderungen."
Repressalien in mehreren Provinzen
Seit Wochen durchsuchen die Taliban Wohnungen und Häuser im eigenen Land. Mit allen Mitteln versuchen sie, ihre Macht zu erhalten. Sie stürmen Gebäude, reißen Schubladen heraus, durchsuchen Handys. Betroffen sind die fünf Provinzen, die bei der Taliban-Machtübernahme den größten Widerstand leisteten.
"Die Durchsuchungen richten sich gegen Diebe, Kidnapper und Schmuggler" - so die offizielle Erklärung des Vize-Premierministers der Taliban, Mullah Baradar. Doch die Betroffenen berichten von Willkür und Gewalt. "Alles ist durchwühlt, mein Haus ist ein komplettes Chaos", sagt Mustafa Amiri (Name von der Redaktion geändert) aus Kabul.
Ehemalige Ortskräfte in Afghanistan
Taliban fürchten Frühlingsoffensiven
Nicht zufällig gehen die Taliban genau jetzt gegen die Bevölkerung vor, der Zeitpunkt - kurz vor Beginn des Frühlings - ist strategisch gewählt. Die Jahreszeit ist bekannt für sogenannte "Frühlingsoffensiven". Früher von den Taliban durchgeführt, müssen sie sich nun selbst vor genau solchen Angriffen durch Widerstandskämpfer fürchten.
Anzeichen des Widerstands gibt es bereits. Bei ihren Durchsuchungen fanden die Taliban zahlreiche Waffen und Militärfahrzeuge. Ein ranghohes Mitglied der nationalen Widerstandsfront bestätigt: "Jetzt, zu Beginn des Frühlings, haben wir den Kampf in vielen Teilen Afghanistans wieder aufgenommen." Einen ersten Angriff in der Provinz Kapisa soll es bereits gegeben haben.
Der Widerstandskämpfer, der lieber anonym bleiben möchte, will sich gegen die Unterdrückung der Taliban wehren:
Die Taliban leugnen den Widerstand. Trotzdem soll vor kurzem eine große Zahl an Talibantruppen in die Provinz Pandschir, in der die nationale Widerstandsfront stationiert ist, verlegt worden sein.
IS-Anschläge erwartet
Mit Beginn des Frühlings werden zudem weitere Anschläge des Islamischen Staats (IS) erwartet. US-Geheimdienstberichte warnen besonders vor "ISIS-K", einer Splittergruppe des IS, die sich seit der Taliban-Machtübernahme auf mehr als 4.000 Kämpfer verdoppelt haben soll. "Wir sind besorgt über die Ausbreitung von ISIS-K", erklärt der US-Kommandant des Nahen Osten, General Kenneth McKenzie.
Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums der Taliban dementiert: "Es gibt keine Terroristen in Afghanistan". Doch seit August 2021 sollen in Afghanistan laut eines UN-Menschenrechtsberichts knapp 400 Menschen durch "ISIS-K"-Anschläge gestorben sein.
Konflikte in den eigenen Reihen der Taliban
Seitdem die USA, der gemeinsame Feind der Taliban, aus Afghanistan verschwunden sind, gibt es immer wieder auch Konflikte in den eigenen Reihen. Jüngstes Beispiel ist ein Video, das vor einer Woche in den sozialen Medien hochgeladen wurde.
Es zeigt Abdullah Haqqani, ein bekanntes Taliban-Mitglied, bei einer privaten Feier mit Frauen und Alkohol. Das Video wurde von anderen Taliban-Mitgliedern stark kritisiert.
Taliban ringen um Kontrolle im Land
Kritik kommt aber nicht nur aus den eigenen Reihen. "Wenn Afghanistan weiterhin die gleichen Fehler macht wie seit 40 Jahren, dann wird es zum Krieg kommen", warnt der abgesetzte Präsident Ashraf Ghani.
Angestrengt versuchen die Taliban deshalb, ihre Probleme zu lösen. Drei Tage lang berieten sie sich mit Anführer Mullah Hibatullah in Kandahar. Sie sollen unter anderem über ihre Streitigkeiten und die anhaltende Wirtschaftskrise diskutiert haben. Denn auch wenn die Taliban die Macht in Afghanistan übernommen haben - sie ringen doch um die Kontrolle im Land.
Mit Material von "Voice of America"
- Das Afghanistan-Desaster - Alles umsonst?
Der Abzug aus Afghanistan wird für den Westen zur Demütigung. Am Ende geht es nur noch darum, möglichst viele einheimische Helfer vor den Taliban in Sicherheit zu bringen.