Bei einem Treffen im Kanzleramt ging es am Sonntag erneut um die Debatte zu neuen AKW-Laufzeiten. Einigung ist nicht in Sicht. Das sind die Streitpunkte.
Die Energiekrise hat die Debatte um die Atomkraft neu angefacht - und damit auch Streit in der Ampel-Koalition. Am Wochenende scheiterte erneut der Versuch einer Einigung. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) setzt auf einen möglichen Streckbetrieb von zwei süddeutschen Atomkraftwerken bis zum Frühjahr. Die FDP fordert einen AKW-Weiterbetrieb bis mindestens 2024.
Wie ist die Ausgangssituation?
Unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 hatte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung nach mehrfachem Hin und Her den Ausstiegsbeschluss bekräftigt. Demnach müssen die letzten deutschen Atomkraftwerke bis Ende 2022 vom Netz gehen. Noch in Betrieb sind derzeit die AKW Emsland (Niedersachsen), Isar 2 (Bayern) und Neckarwestheim 2 (Baden-Württemberg).
Was sieht das Konzept von Habeck vor?
Zur Sicherung der Netzstabilität will Habeck einen Weiterbetrieb der AKW Isar 2 und Neckarwestheim 2 bis zum 15. April 2023 ermöglichen. Ob die Kraftwerke tatsächlich benötigt werden, soll vom Wirtschaftsministerium per Verordnung festgelegt werden. Das AKW Emsland soll wie geplant bis zum Jahresende vom Netz gehen. Diesem Konzept stimmte am Freitag der Grünen-Bundesparteitag mehrheitlich zu, einen weitergehenden AKW-Betrieb schlossen die Delegierten aus.
Was fordert die FDP?
FDP-Chef Christian Lindner will alle drei verbliebenen AKW sowie möglichst noch zwei weitere, bereits stillgelegte Atomkraftwerke bis 2024 am Netz halten oder reaktivieren. Dafür müssten neue Brennelemente bestellt werden, die dann jedoch deutlich länger zur Verfügung stünden. Um die FDP-Ziele durchzusetzen, blockiert Lindner derzeit die für den Streckbetrieb der beiden süddeutschen AKW notwendige Gesetzesänderung. Ohne die Neuregelung bliebe es beim Aus für alle drei Kraftwerke zum Jahresende.
- Ampel ringt um AKW-Kompromiss - Zeit drängt
Die Ampel muss eine Lösung im Streit um AKW-Laufzeiten finden - spätestens bis Mittwoch. Kanzler Scholz berief ein Krisentreffen ein, um zwischen Grünen und FDP zu vermitteln.
Was sind die Argumente?
Habeck begründet sein Konzept damit, dass Risiken für die Netzstabilität in Süddeutschland wegen fehlender Ökostrom-Kapazitäten und Leitungen vor allem in Bayern sowie wegen des Ausfalls französischer AKW ohne die beiden deutschen Kraftwerke nicht völlig ausgeschlossen werden könnten. Für das AKW Emsland gelte dies nicht, vor allem wegen höherer Windstrom-Kapazitäten im Norden.
Lindner argumentiert, dass in der Energiekrise alle Kapazitäten genutzt werden sollten, auch für den Winter 2023/24. Er erhofft sich davon auch einen Beitrag zur Dämpfung der hohen Strompreise. Dies wird von den Grünen aber angezweifelt.
Bei der Suche nach einer Lösung im AKW-Streit "sitzt die FDP jetzt aktuell am kürzeren Hebel, ein Scheitern aber dürfte der ganzen Ampel massiv schaden", so Theo Koll aus Berlin.
Wie positionieren sich die SPD und Bundeskanzler Scholz?
Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich in der Debatte bisher zurückgehalten. In einem gemeinsamen Papier von Scholz, Habeck und Lindner ist von der Einsatzreserve für die beiden süddeutschen AKW die Rede, was Lindner aber nicht als Zustimmung zu Habecks Plan verstanden wissen will. Längere AKW-Laufzeiten über den Streckbetrieb hinaus lehnen auch große Teile der SPD ab.
Welche Rolle haben die Atomkraftwerke für die Energieversorgung?
Atomkraftwerke erzeugten im zweiten Quartal 2022 amtlichen Angaben zufolge sechs Prozent (im ganzen Jahr 2021 waren es rund 13 Prozent) des Stroms in Deutschland. Der Anteil der Gaskraftwerke war vor dem Ukraine-Krieg gut doppelt so hoch. Weil diese häufig neben Strom auch Heizwärme für Haushalte und Industrie erzeugen, können sie aber nicht ohne weiteres durch AKW ersetzt werden. Zudem sind Atomkraftwerke nur schwer regelbar und daher für eine flexible Kombination mit Wind- oder Solarstrom ungeeignet. Eigentlich längst fällige Sicherheitsüberprüfungen der AKW sind mit Blick auf deren Ende 2022 erwartete Abschaltung nicht mehr erfolgt.
Was würde ein AKW-Weiterbetrieb im Streckbetrieb bedeuten?
Hier würden keine neuen Brennstäbe beschafft, sondern noch vorhandene Kapazitäten genutzt. Damit kann der Reaktor über das natürliche Zyklusende hinaus betrieben werden, wenn auch mit stetig abnehmender Leistung. Wie lange ein Streckbetrieb technisch möglich ist, dazu gab es zuletzt unterschiedliche Informationen.
- Mit Atomkraft aus der Energiekrise?
Niedrige Energiepreise durch mehr Atomkraft? Die FDP sagt ja, die Grünen nein. Eine Entscheidung im Kabinett wurde deswegen heute verschoben. Ein Pro und Contra der Argumente.