AKW-Laufzeitverlängerung möglich: Habecks Fast-Kehrtwende

    AKW-Laufzeitverlängerung möglich:Habecks Fast-Kehrtwende

    Kristina Hofmann
    von Kristina Hofmann
    27.09.2022 | 20:47
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    Groß war der Druck auf Minister Habeck: Er soll die drei Atomkraftwerke laufen lassen. Jetzt gibt er nach, aber nicht ganz: Zwei könnten bis Mitte April am Netz bleiben. Könnten.

    Robert Habeck am 23.09.2022 im Bundestag in Berlin
    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).
    Quelle: dpa

    Seine Sätze sind durchzogen von "wohl", "vielleicht", "könnte". Die Worte verschleiern nur mühsam die Einleitung einer Kehrtwende von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an diesem Dienstagabend: Möglicherweise müssen zwei Atomkraftwerke länger am Netz bleiben.
    Habeck verkündete zwar nicht die von der FDP so ersehnte Laufzeitverlängerung. Sondern nur den ersten Schritt dorthin. Vielleicht aber den entscheidenden.

    Entscheidung fällt Anfang Dezember

    Laut Habeck könnten zwei der drei noch aktiven Atomkraftwerke, Neckarwestheim 2 und Isar 2, bis Mitte April am Netz bleiben. Oder auch nur einer von beiden. Ob sie es tatsächlich tun, soll erst Anfang Dezember von der Bundesregierung entschieden werden. Sie werden, so steht es in den Eckpunkten des Ministeriums, jetzt lediglich "in eine neue Einsatzreserve" versetzt.
    Das heißt, die Betreiber sollen alles vorbereiten, damit sie über Dezember hinaus Strom produzieren und einen "Stromnetzengpass in Süddeutschland" verhindern könnten. Das AKW Emsland in Niedersachsen solle laut Habeck definitiv vom Netz gehen.

    Grund: Frankreichs AKW-Problem

    Grund für den möglichen Weiterbetrieb ist nicht der momentan hohe Strompreis. Sondern, so Habeck, dass sich die Lage in Frankreich "deutlich schlechter entwickelt" habe, als noch im Stresstest Anfang September angenommen worden war.
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    Erst vor einer Woche habe Frankreich veröffentlicht, so Habeck, dass dort wegen des Ausfalls der Atomkraftwerke statt 50 Gigawatt nur 45 und im Januar vielleicht nur 40 Gigawatt produziert werden könnten. Durch die Verflechtung der europäischen Stromnetze müsse also mehr Strom nach Frankreich fließen, um die Netzstabilität zu garantieren.
    Nur deswegen, so Habeck, sei die mögliche Laufzeitverlängerung nötig. Und auch wahrscheinlich:

    Heute muss ich sagen, dass die Daten aus Frankreich dafür sprechen, dass wir die Reserve dann auch abrufen.

    Robert Habeck

    Habeck: Kein "Koppelgeschäft"

    Offen bleibt, ob die FDP nun zufrieden ist. Sie hatte den Ausstieg vom Atom-Ausstieg Ende des Jahres innerhalb der Ampel-Koalition gefordert. Noch am Nachmittag hatte FDP-Fraktionschef Christian Dürr signalisiert: Die Liberalen würden im Gegenzug die Finanzierung einer Gaspreisbremse mittragen. "Umgekehrt erwarten wir jetzt aber auch von den Grünen Bewegung bei der Frage der Laufzeiten", so Dürr.

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    Als "politische Koppelgeschäft" oder "Deal" wollte Habeck seine Ankündigung heute aber nicht verstanden wissen. Das, so Habeck, wäre "eine unsachgemäße Verknüpfung". Er konzentriere sich "auf meine Aufgabe als Minister" für Energiesicherheit zu sorgen. Es sei "mitnichten der Fall", dass der Weiterbetrieb der Atomkraftwerke alle Probleme löse: Sie könnten nur 0,5 Gigawatt liefern, die Lücke betrage aber derzeit mehr als vier.

    Neuer Ärger droht

    Trotzdem bringt die mögliche Verlängerung der Laufzeiten Habecks Grüne Partei in die Bredouille. Denn für das neue Ausstiegsdatum Mitte April muss das Atomgesetz geändert werden. Und dafür braucht es die Zustimmung der Grünen-Bundestagsfraktion. Sollte die FDP nun nicht bei der Gasumlage nachgeben und auf die Schuldenbremse weiter bestehen, könnte es neuen Krach geben.
    Am 9. Oktober wird in Niedersachsen gewählt. Atomausstieg und Schuldenbremse sind zentrale Versprechen der Parteien.
    Auch könnten neue Kosten auf den Steuerzahler zukommen: Laut den Eckpunkten des Ministeriums sollen die Betreiber der Atomkraftwerke einen finanziellen Ausgleich bekommen, sollten sie zwar ihre Meiler in die Einsatzreserve versetzen, am Ende aber doch nicht ans Netz gehen. "Übergewinne", wie bei anderen Stromerzeugern, sollen zur Finanzierung der Strompreisbremse von ihnen nicht abgeschöpft werden.
    Alle anderen Kosten können sie trotzdem den Steuerzahlern in Rechnung stellen, wie es im Eckpunktepapier heißt: Personal- und Sachkosten, Aufwand für behördliche Verfahren, Erfüllung Meldepflichten, Kosten für Verzögerung des Rückbaus des weiterbetriebenen Atomkraftwerks, Kosten für Verzögerung des Rückbaus der anderen Atomkraftwerke des Konzerns. Zum Beispiel.
     
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