Die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright spricht im ZDF-Interview über Trump, die Nato und die transatlantischen Beziehungen. Für sie ist klar: Ein Wandel ist nötig.
ZDF: Sie haben kürzlich einmal gesagt, ich bin im Herzen eigentlich immer noch Europäerin. Nun wird uns Europäern von der amerikanischen Regierung gesagt: Ihr seid keine Partner mehr, ihr seid Rivalen. Das ist erschütternd schnell gegangen. Oder haben wir Europäer vielleicht etwas übersehen, etwas nicht mitgekriegt in den letzten Jahren und Jahrzehnten?
Madeleine Albright: Nun, zunächst mal muss ich sagen, dass ich mich sehr freue, das Interview mit Ihnen zu führen. Ich glaube, dass wir natürliche Partner sind und dass wir uns auch als Partner begreifen müssen. Ich glaube aber auch, dass es in den letzten Jahren eine Verschlechterung gegeben hat.
Ich habe oft gesagt, dass unsere Beziehung mit Europa so ist, wie direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. So wie Kinder, denen es sehr sehr schlecht ging, die sehr krank waren und die jede Medizin geschluckt haben, die man brauchte, um wieder gesund zu werden. Und dann war man Teenager, und man hat nie wirklich eine Erwachsenenbeziehung entwickelt, wo wir gemeinsam wirklich handeln, unsere verschiedenen Meinungen achten und verstehen, dass wir mehr Gemeinsamkeiten haben als mit irgendeinem anderem Teil der Welt. Und das muss wieder aufgebaut werden, glaube ich.
ZDF: Im Moment sind das ziemlich dysfunktionale Familienverhältnisse sozusagen, zum Teil hat man das Gefühl, man steht kurz vor der Scheidung. Donald Trump hat ja sogar mal damit gedroht, aus der Nato auszutreten. Wie sehr ist der Westen eigentlich im Moment geschwächt?
Albright: Ich stimme natürlich den Dingen nicht zu, die Trump so gemacht hat und ich glaube sehr stark an die Nato und an unsere Partnerschaft darin. Aber ich glaube schon, dass es die Notwendigkeit gibt eines erneuten Aufbaus, denn wir sehen die Dinge jetzt etwas anders. Das werden wir sicherlich angehen können, aber es hat sehr viel damit zu tun, wie wir uns sehen, im Vergleich zu China und wie wir auch stehen im Vergleich zu Russland.
Und sehen wir hier auch eine Partnerschaft in Fragen wie: Wie wir mit Datenschutz oder Klimaschutz umgehen. Da gibt es einfach sehr viele Differenzen, über die auch wir sprechen müssen, so wie das Familienmitglieder machen würden und das haben wir nicht getan.
ZDF: Wenn Sie sagen, wir müssen etwas neu aufbauen, wäre das denn überhaupt möglich mit der aktuellen Administration oder müsste es dazu nicht einen Wechsel geben?
Albright: Also ich muss jetzt etwas sagen, was schwierig ist für einen ehemaligen Diplomaten. Dass man sein eigenes Land kritisiert, wenn man mit Ausländern spricht. Ich glaube jedoch schon, dass es einen Wandel erfordert.
Ich glaube, es ist erforderlich, ein Verständnis zu erzielen über die Grundlagen der amerikanisch-europäischen Beziehung, der transatlantischen Beziehungen, die eine Schlüsselrolle spielen und wir von den Vereinigten Staaten müssen das mit etwas Demut angehen und anerkennen, wo es Fehler gab und wo es Bereiche gibt, wo wir zusammenarbeiten müssen. Das glaube ich aus vollem Herzen.
ZDF: In dem Buch, das Sie neu geschrieben haben, indem Sie Sich auch große Gedanken machen, um die Welt, um Faschismus, sagen Sie unter anderem: "Wir leben nicht in normalen Zeiten." Sind diese Zeiten im Moment weniger normal als andere Zeiten und gab es jemals andere Zeiten oder gab es vielleicht noch nie normale Zeiten?
Albright: Das ist ein interessanter Punkt. Ich glaube schon, dass es mal normale Zeiten gab. Es gab Zeiten, wo es mehr Hoffnung gab. Und ich denke schon, dass ich sehr privilegiert war, dass ich in den 90er Jahren Außenministerin war, wo wir versucht haben mit der ehemaligen Sowjetunion zusammenzuarbeiten, und wo wir versucht haben auch die Nato zu erweitern. Wo wir versucht haben, mit der Europäischen Union zusammenzuarbeiten, wo wir viele bilaterale Beziehungen hatten. Das war eine Zeit der Hoffnung.
Und was sich wirklich geändert hat, ist, dass wir jetzt in unnormalen Zeiten leben. Das hat zum Teil auch damit zu tun, dass wir versuchen, jetzt dieses schreckliche Virus zu bekämpfen, das keine Grenzen kennt. Die Vereinigten Staaten waren in vieler Weise abwesend von der internationalen Bühne. Das bedeutet jetzt nicht, dass keiner an unsere Stelle tritt, was genau nämlich passiert ist: dass die Chinesen jetzt diese Leere gefüllt haben. Da müssen wir gemeinsam in uns gehen und uns fragen, wie wir damit umgehen.
ZDF: Blicken wir einmal nochmal in die USA: November, Präsidentschaftswahl, es gibt in den USA einige Beobachter, die befürchten, dass selbst wenn Donald Trump eine Wahlniederlage erleiden würde, dass man Familie Trump aus dem Weißen Haus gar nicht so einfach herausbekäme, dass es womöglich sogar zu einem Bürgerkrieg kommen könnte. Halten Sie das für völlig überzogen oder teilen Sie diese Sorge auch?
Albright: Ich glaube schon, dass das jetzt überzogen ist. Aber ich mache mir Sorgen darüber, dass dies unübliche Zeiten sind für eine Wahl. Denn normalerweise gehen die Leute gerne selbst zur Wahl, persönlich. Aber aufgrund des Virus versuchen die Leute sich jetzt zu fragen, wie man auch die Briefwahl nutzen könnte. Und das kennen wir eigentlich nicht so. Auf einmal gibt es Zweifel, wie lange das alles dauert. Das Problem ist, dass wir uns jetzt daran gewöhnen werden müssen, dass es nicht so schnell klar sein wird, wer die Wahl gewonnen hat. Abends um 22 Uhr wird noch nicht feststehen, wer der Sieger ist.
Das Interview, das wir hier in Auszügen wiedergeben, führte Marietta Slomka im heute journal.