Vor zwei Jahren trat Algeriens Staatschef Bouteflika auf Druck der Bevölkerung zurück. Sein Nachfolger Tebboune versprach Veränderungen, doch davon spüren die Menschen nichts.
Mustapha steht am Straßenrand; auf seinem Lieferwagen türmen sich Orangen. Er verkauft sie hier, so wie alle anderen fliegenden Händler, die rundum ihre Waren anbieten. Obwohl das verboten ist. Es bleibt ihm nichts anderes übrig: Auf dem Markt sind keine Plätze mehr frei, also bleibt ihnen nur die Straße, um überhaupt Geld zu verdienen.
"Wir wollen alle doch nur Arbeit", sagt Mustapha bitter, "die Regierung sagt uns, wir sollen an das neue Algerien glauben, aber in Wirklichkeit lässt sie uns hängen."
Keine Perspektive für junge Menschen im Land
Perspektive: Null. Das gilt für viele junge Algerier. Egal, welche Ausbildung sie vorweisen können, es gibt kaum Jobs. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 30 Prozent. "Schauen Sie", Mustapha zeigt auf den jungen Mann neben ihm. "Er ist 16, seit er zehn ist, lebt er auf der Straße, sein Vater hat keinen Job mehr. Wir sammeln für ihn, tun alles, damit er nicht ganz abstürzt."
Algerien, das Land mit den großen Erdöl- und Gasvorkommen, schafft es nicht, seinen Reichtum gerecht zu verteilen. Jetzt, in der Corona-Pandemie, zahlt das Land den Preis dafür, nur auf diesen Wirtschaftszweig gesetzt zu haben. Durch die Coronakrise ist der Ölpreis eingebrochen. Das hat schwerwiegende Folgen nicht nur für die jungen Algerier, sondern für die gesamte Bevölkerung.
Preise für Lebensmittel stark gestiegen
Vor den Geldautomaten haben sich lange Schlangen gebildet. Weil der Kurs des algerischen Dinars eingebrochen ist und die Banken nicht mehr liquide sind, darf jeder nur umgerechnet 100 Euro pro Woche abheben. Dazu kommt, dass die Preise für Grundnahrungsmittel stark gestiegen sind. Couscous, Mehl, Nudeln sind für Normalverdiener plötzlich unerschwinglich, die Milch ist knapp geworden.
"Ich verdiene 350 Euro im Monat", sagt Mahmud, "ich kann mir jetzt noch nicht einmal das Nötigste leisten. Für mich ist das Raub." Und auch Ali, Leiter eines kleinen Supermarktes, macht sich Sorgen: "Vor der Preiserhöhung hatte ich jeden Tag Kunden, die kamen. Jetzt kommen sie viel seltener."
Proteste für mehr Arbeit und gegen Korruption
Kritik an den Zuständen zu äußern, ist gefährlich. Denn Kritik hört die Staatsmacht alles andere als gern. Jeder, der es trotzdem wagt, riskiert eine Festnahme. Doch Verzweiflung und Wut werden immer offensichtlicher.
Immer wieder errichten Demonstranten Straßenblockaden, immer öfter gibt es Proteste, immer lauter werden die Rufe nach Arbeit und Wohnraum, nach einem Ende von Korruption und Vetternwirtschaft. "Wir haben diese Situation satt", ruft ein junger Demonstrant.
Die Regierung tut Vieles, um zu verhindern, dass Bilder oder Informationen über die Lage im Land veröffentlicht werden. Und so werden die Hilferufe im Ausland kaum gehört. Der Präsident will nun aber zumindest die Regierung umbilden, es wird vorgezogene Parlamentswahlen geben. Ob das reicht, darf bezweifelt werden.
Christel Haas ist Korrespondentin im ZDF-Studio Paris.
Der Autorin auf Twitter folgen: @HaasChristel
- Was vom Arabischen Frühling bleibt
Ein Jahrzehnt nach den Revolutionen von 2011 steckt die Arabische Welt tiefer im Sumpf von Diktatur und Misswirtschaft als vorher. Experten machen Autokraten dafür verantwortlich.