Abtreibungen in den USA: Dekret soll Reisen erleichtern
Reisen in liberalere US-Staaten:Abtreibung in USA: Dekret soll Frauen helfen
04.08.2022 | 12:07
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Immer mehr US-Bundesstaaten verbieten Abtreibungen. Mit einem Dekret will Präsident Biden es Frauen erleichtern, für Schwangerschaftsabbrüche in andere US-Staaten zu reisen.
Menschen nehmen an einer Kundgebung für Abtreibungsrechte im Lafayette Park vor dem Weißen Haus teil. (Archiv)
Quelle: Andrew Harnik/AP/dpa
US-Präsident Joe Biden hat im Ringen um das Recht auf Abtreibung eine neue Exekutivanordnung unterzeichnet. Das Dekret solle es Frauen erleichtern, für Schwangerschaftsabbrüche in andere US-Staaten zu reisen, teilte Regierungssprecherin Karine Jean-Pierre mit.
Mittel aus Medicaid-Programm für Abtreibungen
Jene Staaten, wo Abtreibung weiter legal ist, sollen demnach Mittel aus dem Sozialprogramm Medicaid beantragen können, um "Frauen eine reproduktive Gesundheitsfürsorge anzubieten, die in Staaten leben, wo Abtreibung verboten ist". Medicaid-Leistungen sind für Menschen mit geringem Einkommen oder Einschränkungen und Ältere gedacht.
Die Details des Dekrets werden noch geklärt. Hintergrund ist eine erwartete Klagewelle, da die Nutzung von Bundesmitteln für die Bezahlung von Abtreibungen illegal ist - es sei denn, das Leben der Mutter ist in Gefahr oder die Schwangerschaft das Ergebnis von Vergewaltigung oder Inzest.
Nach einem Urteil dürfen US-Bundesstaaten jetzt über das Recht auf Abtreibung entscheiden. Die fackeln nicht lange und führen strenge Regeln ein. Die Angst unter Frauen geht um.
FAQ
Mehr Frauen bitten um Unterstützung
Kürzlich hatte der von konservativen Richtern dominierte Oberste Gerichtshof der USA das Grundsatzurteil zum Recht auf Abtreibung gekippt, das seit rund 50 Jahren Bestand hatte. Damit wurden neue Verschärfungen oder Verbote auf Ebene der US-Staaten möglich. Seither sind Reisen zum Zweck von Schwangerschaftsabbrüchen verstärkt ein Thema.
Im Grundsatzurteil "Roe gegen Wade" (Roe versus Wade) entschied der Oberste Gerichtshof der USA am 22. Januar 1973, dass staatliche Gesetze, die Abtreibungen verbieten, gegen die US-Verfassung verstoßen. Seither sind in den meisten Bundesstaaten Schwangerschaftsabbrüche nahezu uneingeschränkt möglich.
Laut "Roe vs. Wade" darf eine Frau die Schwangerschaft bis zum Zeitpunkt der Lebensfähigkeit des Fötus abbrechen, die damals mit der 28., heute etwa mit der 24. Schwangerschaftswoche angesetzt wird. Nach dem dritten Schwangerschaftsmonat darf der Staat das Abtreibungsverfahren regulieren, aber nur soweit zum Schutz der Gesundheit der Frau nötig. "Roe vs. Wade" zählt zu den gesellschaftlich umstrittensten Entscheidungen in der Geschichte des Supreme Court, der damals unter Führung des Obersten Richters Warren E. Burger von einer liberalen Richtermehrheit geprägt war.
Die Bezeichnung geht auf den zum Schutz der Klägerin gewählten Alias-Namen "Jane Roe" zurück, in Anlehnung an den in den USA oft für nicht identifizierte Personen verwendeten Platzhalternamen "John Doe". Beklagter für den Staat Texas war der damalige Bezirksstaatsanwalt des Dallas County, Henry Wade.
Geklagt hatte die damals 22-jährige Texanerin Norma McCorvey, die ihre ersten beiden Kinder wegen ihrer schwierigen sozialen Lage zur Adoption freigegeben hatte. Eine erneute Schwangerschaft abzubrechen, wäre ihr laut Gesetz des Bundesstaates Texas nur im Fall einer eigenen gesundheitlichen Gefährdung gestattet gewesen. Ihre Anwältinnen sahen in dieser Beschränkung eine Verletzung des Rechts auf Privatsphäre nach dem 14. Verfassungszusatz und initiierten eine Klage beim Bundesbezirksgericht für Nord-Texas.
Das Gericht erklärte zwar, das Gesetz verstoße gegen die Bundesverfassung und müsse überarbeitet werden, lehnte jedoch seine Aufhebung ab. Der Oberste Gerichtshof nahm 1971 die Berufung an. Unterdessen hatte McCorvey ihr drittes Kind geboren und ebenfalls zur Adoption freigegeben.
Beim Thema Abtreibung sind die USA tief gespalten. Das Urteil "Roe vs. Wade" war von Anfang an umstritten wie kaum eine andere Entscheidung in der Geschichte des Supreme Court. Abtreibungsgegner machen seitdem an jedem Jahrestag der Urteilsverkündung mobil und demonstrieren zu Tausenden in Washington für eine Aufhebung des Gesetzes. Auch vor Gewalt schreckten sie in der Vergangenheit nicht zurück.
(Quelle: KNA/ZDF)
Der Verband National Abortion Federation meldete am Mittwoch, dass in dem Monat nach der Entscheidung des Supreme Courts Ende Juni mehr Frauen um Unterstützung bäten, sie für Abtreibungen in einen anderen Staat zu bringen. Die Organisation bezahlte nach eigenen Angaben 76 Hotelzimmer und buchte 52 Bus- oder Flugreisen - im Vorjahreszeitraum waren es nur einige wenige Kostenübernahmen.
In seiner Exekutivanordnung ruft Biden zudem Gesundheitsdienstleister auf, sich an Bundesgesetze zum Schutz vor Diskriminierung zu halten.
Abtreibungsbefürworter fordern mehr von Biden
Aus seiner erneuten Corona-Isolation im Weißen Haus ließ sich Biden zum ersten Treffen einer Taskforce für den Erhalt des Zugangs zu reproduktiver Gesundheitsversorgung zuschalten, die Vizepräsidentin Kamala Harris leitete.
Die Aushebelung der Grundsatzentscheidung zum Abtreibungsrecht durch den Obersten Gerichtshof nannte er in einer Rede als "Gesundheitskrise". Er wolle sicherstellen, dass "jeder Teil der Bundesregierung in diesem entscheidenden Moment, in dem die Gesundheit von Frauen und Leben auf dem Spiel stehen, seinen Beitrag leistet".
Seine jüngste Anordnung reiht sich in eine Serie von Dekreten ein, die er seit der umstrittenen Entscheidung des Supreme Court erlassen hat. Doch viele demokratische Abgeordnete und Abtreibungsbefürworter erhoffen sich mehr Durchschlagskraft von der Biden-Regierung.
Deren Hauptforderung ist, dass der Präsident in Sachen Abtreibung einen öffentlichen Gesundheitsnotstand ausrufen möge. Mitarbeiter im Weißen Haus wenden indes ein, dass dieser Schritt kaum dazu beitragen würde, Bundesmittel verfügbar zu machen oder neue juristische Initiativen anzuschieben.