Tankrabatt, Schulden, Corona: In der Ampel-Koalition wird offen über alles mögliche gestritten. Alles ganz normal, heißt es in der Bundesregierung. Doch der Ton wird schriller.
"Wir sind in einer Diskussion", sagt Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner an diesem Montag vor Journalisten. In einer Koalition "ein ganz normaler Vorgang". Doch mittlerweile gibt es immer häufiger Fragezeichen, ob die Diskussionen zwischen SPD, Grünen und FDP noch so normal sind.
Sechs Monate ist der Koalitionsvertrag alt, aber der Zauber des Anfangs und der Selfie-Stolz, diese Regierung überhaupt gebildet zu haben, ist längst verflogen. Und das hat nicht nur mit Russlands Krieg gegen die Ukraine zu tun. Mühsam übertünchte Risse werden wieder sichtbar. Und zwar an ziemlich vielen Stellen.
Tankrabatt vs. Übergewinnsteuer
Dass sich drei Parteien nicht immer einig sind, ist nicht neu. Oft wurde zu Beginn der Ampel-Koalition der neue Ton untereinander betont: Konflikte sollten hinter verschlossenen Türen ausgetragen werden, was in Zeiten der Koalitionsfindung auch gelang. Doch mittlerweile geben sich nicht mehr alle viel Mühe. Kaum eine Äußerung in der Öffentlichkeit ohne Seitenhieb auf die anderen.
Der Tankrabatt soll Autofahrer entlasten. Doch davon scheinen momentan nur die Mineralöl-Konzerne zu profitieren. Nun kündigt der Wirtschaftsminister ein strengeres Kartellrecht an.
Beispiel Tankrabatt. Ihn hatte die FDP durchgesetzt, um die Pendler von den steigenden Spritpreisen zu entlasten. Die Grünen waren dagegen, um die Energiepreise zu senken. Sie wollen mit einer Übergewinnsteuer verhindern, dass die Steuerentlastung nicht an die Verbraucher weitergegeben wird. Das wiederum will die FDP nicht.
Nun schlägt Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor, das Kartellrecht zu verschärfen. Der Tankrabatt sei "nie unser Wunsch" gewesen, sagte Habeck dem Deutschlandfunk.
Er habe mit seinen Vorschlägen zu einer Novelle des Kartellrechts "Verantwortung übernommen, den Schlammassel ein wenig weniger groß werden zu lassen".
Habecks geplant Novelle wird allerdings an den aktuell hohen Preisen an der Tankstelle wenig ändern. Sie ist aus Sicht der FDP auch keine Rettungsaktion für den schieflaufenden Tankrabatt. Sie ist "sogar ein Auftrag, den Herr Habeck bekommen hat", wie FDP-Finanzminister Christian Lindner im ZDF betont. Man habe sich schon im Entlastungsgesetz darauf geeinigt, dass das Kartellamt in der Lage sein müsse, die Märkte zu kontrollieren.
Immerhin: "Die Richtung stimmt", sagte Lindner zu Habecks Vorschlägen. Die ganze Debatte halte er für "etwas emotional aufgeladen".
Im Streit um den Tankrabatt unterstützt Finanzminister Lindner eine Verschärfung des Kartellrechts, ein Vorschlag von Robert Habeck. "Die Richtung stimmt", sagt Lindner im ZDF.
Neue Corona-Maßnahmen jetzt, später oder nie
Ein anderes emotional aufgeladenes Thema bleibt zwischen Grünen und FDP die Vorbereitung auf den nächsten Corona-Herbst. Die FDP beharrt auf den festgelegten Fahrplan: Erst die Evaluierung der Maßnahmen bis Ende Juni, dann "in einem guten, geordneten Gesetzgebungsverfahren", wie es Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagt, neue Konsequenzen festlegen.
Dann könnte es Herbst sein. Den Grünen dauert das zu lange: Die Feuerwehr fange auch nicht an, die Feuerwache zu bauen, wenn es längst brennt, sagt Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen dem ZDF. Politik müsse vorsorgen und die Maßnahmen jetzt beschließen. Denn die jetzigen Maßnahmen im Infektionsschutzgesetz laufen am 23. September aus.
Warum Deutschland beim Nutzen der Corona-Maßnahmen im Nebel stochert
Gereizter ist der Ton im Bundestagspräsidium. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckhardt (Grüne) hatte die FDP gewarnt, sie dürfe "nicht wieder bremsen". Sie sei "in der Pflicht", das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben zu sichern, so Göring-Eckhardt zum Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Wolfgang Kubicki, FDP-Politiker und ebenfalls Bundestagsvizepräsident, nannte ihre Aussagen "unwürdig", weil sie damit den Eindruck erwecke, der Bundestag könne nicht schnell genug reagieren. Die Corona-Politik der Grünen, so Kubicki, sei "angstbasiert".
Schuldenbremse oder Schuldenberg?
Das nächste Streitthema wird zwar erst nächstes Jahr relevant, ist aber schon in vollem Gange: das Thema Schulden und Inflation. Finanzminister Lindner hat versprochen, dass ab 2023 Jahr die Schuldenbremse wieder gelten soll. Das immense Geldausgeben durch Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und durch die Entlastung von den hohen Energiepreisen soll ein Ende haben. Stellt sich die Frage, wie die ganzen Projekte der Koalition bezahlt werden sollen: Kindergrundsicherung, Bürgergeld, Klimageld etwa.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken betonte am Montag: "Keines der Zukunftsprojekte darf wackeln." Aber wenn die FDP gegen neue Schulden, gegen eine Steuererhöhung und gegen die Aussetzung der Schuldenbremse ist, wie sollen sie bezahlt werden? Wichtig sei, sagte auch die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang, dass die notwendigen Investitionen erfolgten. Wie, das sei jetzt Sache von Finanzminister Lindner:
Aber klar sei: Aus der Inflation sich "raussparen", könne man nicht. Das gefährde den sozialen Frieden, so Lang. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sprach im ZDF auch lieber gar nicht erst von neuen Schulden. Es gehe um das "Aufholen von unterlassenen Investitionen der letzten Jahrzehnte".
Die fehlende Antwort der Ampel
Esken: Scholz moderiert und führt
Von Anfang an, sagt SPD-Chefin Esken, sei klar gewesen, dass die Unterschiede zwischen den Parteien auch in der Regierung fortbestehen. Würde man über diese nicht reden, könne eine "Unkenntlichkeit der Parteien" entstehen. Man tausche sich regelmäßig aus, "auch mal über die Öffentlichkeit, um Profil aufrecht zu erhalten".
Und was macht eigentlich Kanzler Olaf Scholz zwischen all den Streitereien? Esken sagt: Seine "Moderation und Führung sind bestimmendes Merkmal dieser Koalition". Nicht jeder Konflikt brauche gleich einen Koalitionsausschuss.