Für Ex-Außenminister Gabriel muss die EU in der Ukraine-Krise selbstbewusster werden und vom "Katzentisch" wegkommen. Eine gemeinsame Handlungsposition sei wichtig, sagt er im ZDF.
Sigmar Gabriel, ehemaliger Außenminister und Vorsitzender der Atlantik-Brücke, erkennt in der Ukraine-Krise eine "unfassbare Drohgebärde" Russlands. Zur Deeskalation der Situation gäbe es aber noch ein Reihe wirtschaftlicher Sanktionsmöglichkeiten.
Der frühere Außenminister Sigmar Gabriel hat die Rolle der EU im Ukraine-Konflikt kritisiert. Im ZDF heute journal monierte Gabriel, die EU würde zu oft "am Katzentisch" sitzen, deswegen sei es gut gewesen, dass Annalena Baerbock nach Moskau gefahren sei. Die Außenministerin hatte dort am Dienstag ihren Antrittsbesuch absolviert und mit Amtskollege Sergej Lawrow den Dialog gesucht.
"Die Amerikaner verhandeln mit den Russen über die Lage in Europa." Das sei für einen überzeugten Europäer ein schwaches Bild, das die Europäische Union insgesamt abgibt, so Gabriel.
Gabriel: Nord Stream 2 nie "rein wirtschaftliches Projekt"
Russland müsse "den Preis für einen Krieg in Europa kennen", betonte Gabriel. Es sei eine "unfassbare Drohgebärde", über 100.000 Soldaten in die ukrainische Grenzregion zu schicken.
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Zuvor hatte Gabriel in einem Gespräch mit dem "Tagesspiegel" erklärt, Russland würde damit die Voraussetzungen für die Zustimmung Deutschlands zu dem Pipelineprojekt Nord Stream 2 zerstören. "Denn es war in den Verhandlungen mit Russland immer klar, dass die Integrität und sogar die Nutzung der Pipeline durch die Ukraine durch Russland nicht infrage gestellt wird. Insofern war es nie ein rein wirtschaftliches Projekt, sondern immer an politische Bedingungen geknüpft, die der russische Präsident immer akzeptiert hat."
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht die Ostseepipeline Nord Stream 2 als privatwirtschaftliches Projekt und hat den Genehmigungsprozess als rein unpolitisch bezeichnet.
Außenausschuss-Chef: Nord Stream 2 bei Sanktionen nicht ausschließen
Auch der SPD-Außenpolitiker Michael Roth sieht das Thema Nord Stream 2 im Falle weiterer russischer Aggressionen gegen die Ukraine auf dem Verhandlungstisch. Es gehe darum, bei der Ostpolitik in der Europäischen Union mit einer Stimme zu sprechen und die Interessen der Ukraine ernst zu nehmen, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag im ARD-Morgenmagazin.
"Und wenn wir das tun, dann müssen wir anerkennen, dass das Thema Nord Stream 2 von Beginn an zu großem Ärger und zu Spaltungen geführt hat", so Roth. "Und wenn wir wirklich zu Sanktionen kommen sollten, (...) dann können wir nicht im Vorhinein Dinge ausschließen, die möglicherweise von unseren Partnern in der Europäischen Union eingefordert werden."
Wie umgehen mit Putin und seinen Drohungen gegenüber der Ukraine? Sanktionen ja. Doch ob Nord Stream 2 als Druckmittel eingesetzt werden soll, darüber ist die Ampel uneinig.
Auch Kanzler Scholz habe bei seinem Besuch in Spanien betont, dass im Falle einer russischen Aggression "wirklich alles auf den Tisch gehört", sagte Roth mit Blick auf Scholz' frühere Aussage, dass es sich bei Nord Stream 2 vorrangig um ein privatwirtschaftliches Projekt handle.
Hofreiter für Herauszögern von Inbetriebnahme
Der Vorsitzende des EU-Ausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter (Grüne), forderte indes, die Entscheidung zur Inbetriebnahme von Nord Stream 2 so lange wie möglich hinauszuzögern.
Sonst gebe Deutschland "ein Druckmittel gegen (den russischen Präsidenten Wladimir) Putin aus der Hand".
Die Pipeline, die russisches Gas durch die Ostsee nach Deutschland transportieren soll, wurde bereits fertig gestellt. Derzeit prüft die Bundesnetzagentur, ob alle rechtlichen Voraussetzungen für den Betrieb vorliegen.
"Diese Pipeline ist aus zwei Gründen problematisch", sagte Hofreiter. "Erstens wegen des Klimaschutzes und zweitens, weil Putin durch diese Pipeline die Ukraine und Polen vollkommen umgehen kann. Deswegen machen insbesondere auch unsere osteuropäischen Nachbarn sehr viel Druck, dass diese Pipeline am Ende doch nicht in Betrieb geht."
Hofreiter für Dialog mit Moskau
Deutschland sei zudem bei der Versorgung "nicht angewiesen auf diese zusätzliche Pipeline, weil die Pipelines, die durch die Ukraine führen, bereits entsprechend gefüllt sind." "Die Zertifizierung durch die Bundesnetzagentur ist ein offener Prozess", betonte Hofreiter.
Gleichzeitig plädierte Hofreiter für einen Dialog mit Moskau: