Es gibt bis heute kein Gesetz zur Arbeitszeiterfassung - obwohl ein Grundsatzurteil schon knapp zwei Jahre zurückliegt. Für Unternehmen könnte das ein Risiko werden.
Es war ein Urteil, das viel beachtet und oft diskutiert wurde: Am 14. Mai 2019 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass die Arbeitszeit in den EU-Mitgliedsstaaten mit einem objektiven, verlässlichen und zugänglichen System erfasst werden muss. Dafür reiche es nicht aus, einfach nur die Überstunden zu dokumentieren.
In Deutschland hat sich in den vergangenen knapp zwei Jahren seit dem Urteil nichts geändert. In vielen Betrieben wird die Arbeitszeit nach wie vor nicht erfasst; bestenfalls die Überstunden gelangen ins System der Personalabteilungen.
Viele Jurist*innen sehen nach dem Urteil aber auch nicht die Arbeitgeberseite in der Pflicht, sondern in erster Linie den Gesetzgeber: Erst wenn der Bundestag neue Regeln erlasse, müssten die Arbeitgeber*innen sich danach richten und die Arbeitszeiten dokumentieren.
Mögliche Pflicht "wird in der Bundesregierung kontrovers diskutiert"
Warum die Politik bis heute keine Regeln auf den Weg gebracht hat, begründet das Bundesarbeitsministerium auf ZDFheute-Anfrage mit juristischen Unklarheiten. Dazu sagt eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums:
Politische Entscheidungen zum weiteren Vorgehen seien noch nicht getroffen.
Urteile zu Arbeitszeiterfassung bereits rechtskräftig
Für Unternehmen bleibt die Situation deshalb unklar - und auch riskant: Inzwischen gibt es mehrere erstinstanzliche Urteile, die Arbeitgeber*innen in der Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeit sehen. Diese Pflicht begründet das Arbeitsgericht Emden in drei Fällen unter Verweis auf das EuGH-Urteil.
Zwei der Urteile aus dem Jahr 2020 sind rechtskräftig. Das dritte liegt inzwischen beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen. Ob sich dieses und möglicherweise auch andere Gerichte der Auffassung aus Emden anschließen werden, ist offen.
Experten raten, Zeiten bereits jetzt zu dokumentieren
Entscheidungen von Landesarbeitsgerichten oder dem Bundesarbeitsgericht dazu gibt es bislang nicht. Deshalb ist es schwer einzuschätzen, ob Unternehmen wirklich schon jetzt in der Dokumentationspflicht sind. Die Urteile aus Emden zeigen aber, dass das derzeitige politische Vakuum für Unternehmen gefährlich werden kann. Deshalb raten Arbeitsrechtler*innen dazu, schon heute die Arbeitszeiten nach den Kriterien des EuGH zu dokumentieren.
Nach dem EuGH-Urteil müssten Unternehmen auf flexible Arbeitszeitmodelle wie die Vertrauensarbeitszeit nicht verzichten, sagt Stephanie Törkel, Fachanwältin für Arbeitsrecht:
Der Arbeitgeber müsse jedoch Organisations- und Kontrollpflichten nachkommen, so Törkel.
Arbeitszeitdokumentation im Homeoffice?
Die Politik strebt bereits jetzt - obwohl sie sich auf eine juristisch ungeklärte Situation beruft - eine sehr klar geregelte Pflicht für die Arbeitszeitdokumentation im Homeoffice an. Der Referentenentwurf des neuen Gesetzes zur mobilen Arbeit verpflichtet Unternehmen, "Beginn, Ende und Dauer der gesamten Arbeitszeit am Tag der Arbeitsleistung aufzuzeichnen."
Was also für regulär Arbeitende bisher nicht möglich ist, soll nach dem Willen des Bundesarbeitsministeriums bald für Personen gelten, die von zu Hause aus arbeiten.
Das Thema Homeoffice sorgte in der Vergangenheit allerdings immer wieder für Streit in der großen Koalition. Ob diese Regelung kommen wird, ist deshalb unklar. Das Bundesarbeitsministerium teilt dazu lediglich mit: "Die regierungsinternen Gespräche dazu dauern an." Und ob tatsächlich irgendwann eine Dokumentationspflicht für alle Beschäftigten kommen wird, ist völlig offen.
Christian Deker arbeitet in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz. Dem Autor bei Twitter folgen: @christiandeker