Ein Attentatsversuch auf die argentinische Vizepräsidentin vertieft die Gräben in Argentinien. Dem Land stehen schwere Zeiten bevor.
Cristina Fernández de Kirchner (69) ist das "Alphatier" der argentinischen Politik. Von 2007 bis 2015 regierte sie als Präsidentin das zweitgrößte südamerikanische Land, als Nachfolgerin ihres inzwischen verstorbenen Mannes Nestor Kirchner.
Seitdem führt sie die wohl einflussreichste Familie Argentiniens an. Und ist im Kabinett des amtierenden Präsidenten Alberto Fernandez die mächtigste Strippenzieherin.
Kirchner polarisiert in Argentinien
Keine andere Persönlichkeit in der argentinischen Politik polarisiert die Massen derart wie Kirchner. Ihre Kritiker halten die während ihrer politischen Ämter zur Multimillionärin aufgestiegene Juristin für durch und durch korrupt. Ihre Anhänger für die legitime Nachfolgerin der legendären Evita Peron.
Die auf sie gerichtete Waffe wird diesen Mythos verstärken. Genauso unterschiedlich fallen auch die Reaktionen auf den Vorfall vom Donnerstag aus, als ein gebürtiger seit 35 Jahren in Argentinien lebender Brasilianer mit einem Revolver aus nächster Distanz auf Kirchner zielte. Ein Schuss fiel dabei aus bislang ungeklärten Gründen nicht.
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War der Attentatversuch eine inszenierte Show?
Präsident Fernandez erklärte, Kirchner habe nur überlebt, weil sich kein Schuss aus der Waffe gelöst habe. In den Netzwerken werden dagegen Vorwürfe laut, das Ganze sei eine inszenierte Show, um von den gravierenden Korruptionsvorwürfen der Staatsanwaltschaft gegen Kirchner abzulenken.
Die Abgeordnete Amalia Granata (Republikaner) sprach von einer Art Schauspieleinlage, die Kirchners Umfragewerte in die Höhe treiben, sie als Opfer darstellen und von den Korruptionsvorwürfen ablenken solle.
Granata wurde daraufhin in den sozialen Netzwerken wüst beschimpft, ihr Tweet sammelte allerdings auch innerhalb von wenigen Stunden 40.000 Likes ein.
Angespannte Lage auf den Straßen
Dass sich überhaupt so viele Menschen vor dem Wohnhaus Kirchners im Nobelviertel Recoleta einfanden, liegt an einer aktuellen Auseinandersetzung mit der Staatsanwaltschaft. Die wirft Kirchner vor, Kopf eines Korruptionsnetzwerks zu sein, das dem argentinischen Volk über verschobene Bauaufträge eine Milliarde US-Dollar geraubt habe und fordert zwölf Jahre Haft.
Seitdem mobilisiert Kirchner ihre Anhänger gegen die Justiz. Ihre Kritiker monieren, sie untergrabe damit die Gewaltenteilung und attackiere den Rechtsstaat. Kirchners Attacken auf die Richter seien eine Gefahr für die Demokratie.
Präsident Fernandez, zuletzt im internen Machtkampf mit Kirchner, stellte sich dagegen hinter seine Vizepräsidentin: "Kein einziger Vorwurf ist bewiesen."
Vorwurf von Kirchner: Politisch motivierte Kampagne
Dass Fernandez erklärte, er hoffe, dass der zuständige Staatsanwalt kein Selbstmord begehe, wie ein anderer, der zuvor in einem anderen Fall gegen Kirchner ermittelte, hatte die ohnehin angespannte Lage im Land weiter aufgeheizt.
Kirchner wirft der Justiz vor, eine politisch motivierte Kampagne gegen sie zu fahren. Die Beweise seien aus der Luft gegriffen und konstruiert, die Richter hätten eine Nähe zur Opposition. Der auf sie gerichtete Revolver wird die Anhänger Kirchners in ihrer Sichtweise bestärken, dass Kirchner physisch oder juristisch aus dem Weg geräumt werden soll.
Es ist schwer vorstellbar, dass Kirchner in dieser politischen Gemengelage, mit einer hoch motivierten und breit mobilisierten Anhängerschaft tatsächlich den Gang ins Gefängnis antreten muss. Stattdessen wird eine erneute Präsidentschaftskandidatur 2023 immer wahrscheinlicher. Die könnte dann zur "Volksabstimmung" über ihre Schuld oder Unschuld werden.