US-Präsident Biden erkennt die Massaker an Armeniern durch osmanische Truppen als Völkermord an. Für die Armenier eine Genugtuung, für Ankara eine "Verzerrung der Geschichte".
Seit Jahrzehnten vermeiden US-Präsidenten, die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich offiziell als Völkermord anzuerkennen - aus Rücksichtnahme auf den Nato-Partner Türkei. Doch US-Präsident Joe Biden bricht nun damit. In einer vom Weißen Haus verbreiteten Mitteilung Bidens zum 106. Gedenktag an die Gräueltaten im Ersten Weltkrieg hieß es:
Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan begrüßte Bidens Worte. "Das armenische Volk und alle Armenier der Welt haben Ihre Botschaft (...) mit großer Begeisterung erhalten", sagte er laut Mitteilung. Paschinjan sprach von "einem mächtigen Schritt auf dem Weg der Wahrheit und der historischen Gerechtigkeit" sowie von einer "unschätzbaren Unterstützung für die Nachkommen der Opfer des Völkermords".
Türkei: "Vulgäre Verzerrung von Geschichte"
Die Antwort aus Ankara fällt erwartungsgemäß harsch aus. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu wies die Aussage "vollständig" zurück - sie basiere "nur auf Populismus", schrieb er auf Twitter. "Wir haben nichts von niemandem über unsere eigene Vergangenheit zu lernen. Politischer Opportunismus ist der größte Verrat an Frieden und Gerechtigkeit."
In einer Erklärung seines Ministeriums hieß es es, Bidens Schritt öffne eine "tiefe Wunde", die die türkisch-amerikanische Freundschaft untergrabe. Es handele sich um eine "vulgäre Verzerrung von Geschichte". Ankara hatte die US-Regierung bereits vor Bidens Erklärung vor einer Anerkennung der Massaker als Völkermord gewarnt.
Erdogan schreibt armenischem Patriarchen
Auch der Sprecher des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, Ibrahim Kalin, verurteilte die Erklärung scharf. Er empfehle den USA auf ihre eigene Geschichte und Gegenwart zu schauen. Erdogan persönlich äußerte sich zunächst nicht.
Vor Bidens Mitteilung hatte Erdogan am Samstag an den armenischen Patriarchen in der Türkei, Sahag Maschalian, geschrieben, er gedenke mit Respekt den Armeniern im Osmanischen Reich, die unter "schweren Bedingungen" im Ersten Weltkrieg ihr Leben verloren hätten. Die Politisierung von Debatten durch Dritte bringe nichts.
Trump hatte das Wort "Völkermord" vermieden
Bereits 2019 hatte der US-Kongress die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord anerkannt. Die Regierung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump betonte anschließend, die rechtlich nicht bindende Resolution ändere nichts an der Haltung der US-Regierung.
Biden-Vorgänger Trump hatte "von einer der schlimmsten Massen-Gräueltaten des 20. Jahrhunderts" gesprochen, das Wort Völkermord aber - wie andere US-Präsidenten auch - vermieden.
Historiker gehen von bis zu 1,5 Millionen Opfern aus
Während des Ersten Weltkriegs waren Armenier systematisch verfolgt und unter anderem auf Todesmärsche in die syrische Wüste geschickt worden. Historiker sprechen von Hunderttausenden bis zu 1,5 Millionen Opfern.
Die Türkei als Nachfolgerin des Osmanischen Reiches gesteht den Tod von 300.000 bis 500.000 Armeniern während des Ersten Weltkrieges ein und bedauert die Massaker. Eine Einstufung als Völkermord weist sie jedoch strikt zurück.
Biden: "Wir ehren Geschichte der Armenier"
Die USA fühlten sich verpflichtet zu verhindern, dass sich ähnliche Gräueltaten jemals wieder ereigneten, erklärte Biden. Überlebende der Verfolgung hätten sich gezwungen gesehen, auf der ganzen Welt eine neue Heimat und ein neues Leben zu finden.
Mit "Stärke und Widerstandskraft" habe das armenische Volk überlebt, habe aber niemals die tragische Geschichte vergessen. "Wir ehren ihre Geschichte. Wir sehen diesen Schmerz. Wir bestätigen die Geschichte. Wir tun dies nicht, um Schuld zuzuweisen, sondern um sicherzustellen, dass sich das, was geschehen ist, niemals wiederholt."
Bereits als Präsidentschaftskandidat hatte Biden beim Gedenktag vor einem Jahr vom "Genozid" an den Armeniern gesprochen. Biden betonte damals: "Schweigen ist Mittäterschaft."
Ebenfalls als Kandidat hatte Biden außerdem einen härteren Kurs gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan angekündigt, den er einen "Autokraten" nannte, der einen Preis für sein Verhalten zahlen werde.
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