Der Psychiater Manfred Lütz nennt Putins Atomwaffen-Drohung eine "psychologische Waffe". Die zögerliche Reaktion von Kanzler Scholz sei "unverantwortlich", sagte er bei "Lanz".
Zum bundespolitischen Umgang mit dem Ukraine-Krieg, zur aktuellen Entwicklung im Russland-Ukraine-Konflikt sowie zu Putins Kriegstaktik und Kommunikation
"Ich glaube, die Atombombe ist tatsächlich eine psychologische Waffe", sagte Psychiater Manfred Lütz am Mittwochabend bei Markus Lanz. Seit 77 Jahren sei sie nicht mehr militärisch eingesetzt worden.
Und auch die Kuba-Krise 1962, als zwischen der UdSSR und den USA ein Dritter Weltkrieg auszubrechen drohte, sei in erster Linie eine psychologische Krise gewesen. Kein einziger Schuss sei damals gefallen, doch zu der Zeit hätte die Angst vor einem Atomkrieg viele Menschen beschäftigt.
Zu Gast bei Markus Lanz: Der Psychiater Manfred Lütz spricht über die Atombombe als psychologische Waffe und Druckmittel Putins im Ukraine-Krieg.
Psychiater Lütz: Amerikaner reagieren "cool"
Seit dem 24. Februar dieses Jahres, der Tag von Russlands Angriff auf die Ukraine, habe man nun eine völlig neue Situation:
Die Amerikaner würden das einfach "abtropfen" lassen, "cool" reagieren. In Deutschland hingegen antworte der Bundeskanzler in einem Interview auf die Frage nach schweren Waffen mit der Angst vor einem Dritten Weltkrieg und der Atombombe.
Lütz: Putin versucht zu spalten
"Das finde ich wirklich unverantwortlich", kritisierte Lütz den Kanzler. "In dem Moment knallen bei Herrn Lawrow die Korken", so der Psychiater weiter. Denn: "Das wirkt sich aus auf die deutsche Bevölkerung. Denn die Angst vor einem Atomkrieg haben wir alle – und zwar zurecht."
Gegen die aktuelle Gefahr helfe für ihn "nur Stärke und Einigkeit", so Lütz. Beides versuche Putin durcheinanderzubringen, "uns zu spalten". Der Psychiater nannte die umstrittene Debatte zur Lieferung schwerer Waffen als Beispiel. Er warb dafür, sich mehr von der Ruhe der Amerikaner abzuschauen.
Politologin Sasse: Bedeutung der Wortwahl steigt
Die Politologin Gwendolyn Sasse stimmte Lütz zu. Es komme in diesen Zeiten viel mehr auf Kommunikation an, die Bedeutung jedes einzelnen Wortes steige. Gerade das angesprochene Interview von Scholz habe "unnötig weiter Angst gemacht", weil der Bundeskanzler seine Aussagen nicht weiter ausgeführt habe. Zwar sei die Regierung nun bei einer klaren Entscheidung angekommen.
Aber: "Es klingt halt für die Bevölkerung so: An einem Tag wird das gesagt, ein paar Tage später was Anderes." Das könne die Sorge weiter schüren.
Die Äußerung Putins, der Einsatz von Nuklearwaffen sei im Ukraine-Krieg nicht ausgeschlossen, hat die Welt alarmiert. Wie gut sind wir Deutschen auf den "großen Knall" vorbereitet?
Buschmann: Putin darf nicht gewinnen
Bundesjustizminister Marco Buschmann erwiderte, dass man "in relativ kurzer Zeit" mit Wirtschaftssanktionen, der Versorgung der Ukraine mit zivilen und militärischen Mitteln gezeigt habe, "dass wir uns einigen können, dass wir dazu stehen, sie zu unterstützen".
Auch als Bundesregierung habe man klar gesagt, die Ukraine dürfe den Krieg nicht verlieren, weil sonst Putin auf neue Ideen käme - hinsichtlich der Staaten im Baltikum. Dort gebe es die Angst, dass der Krieg in der Ukraine auch die eigene Zukunft sein könne.
Justizminister: "Wollen die Nato-Linie halten"
Man könne an der Kommunikation viel kritisieren, so Buschmann. Doch mit dem Bundestagsbeschluss und auch in Abstimmung mit anderen Ländern habe man nun zu einer klaren Linie gefunden.
"Wir wollen die Nato-Linie halten, wir wollen die Ukraine unterstützen, damit Wladimir Putin sieht: Er kann nicht so agieren, wie er das 2014 offenbar konnte - und das ist unsere gemeinsame Haltung", sagte Buschmann.
Lütz kritisierte, gerade mit Blick auf die Lieferung schwerer Waffen, dass es zwei Monate gedauert habe, bis diese klare Linie da gewesen sei. Besonnen müsse man natürlich sein – doch gebe es einen Unterschied zwischen Besonnenheit und Zögerlichkeit.
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