Prozess um das Nizza-Attentat : Das Warten auf Antworten 

    Prozess um das Nizza-Attentat :Das Warten auf Antworten 

    von Lukas Nickel, Paris
    05.09.2022 | 05:56
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    Sechs Jahre hat es gedauert. Jetzt stehen acht mutmaßliche Helfer*innen des Attentäters von Nizza vor Gericht, der mithilfe eines Kühllasters 86 Menschen getötet hat. 

    Am 14. Juli 2016 verbringen Anne Murris und ihr Mann ihren Urlaub in Norwegen, als sie von dem Anschlag an der Strandpromenade von Nizza, ihrer Heimatstadt erfahren. Ein Mann hat einen 19-Tonnen-LKW in die Menschenmassen gelenkt, mitten in die Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag, hören sie in den Nachrichten.

    Ich habe keine Neuigkeiten von meiner Tochter bekommen. Ich fing an zu hyperventilieren und ohnmächtig zu werden. Sogar als wir dann endlich wieder in Frankreich waren, hörte es nicht auf.

    Anne Murris

    An diesem Abend verlor Anne Murris ihre 27-jährige Tochter Camille. Mit Camille wurden 85 weitere Menschen getötet, Hunderte wurden verletzt. Viele sind bis heute traumatisiert. 

    Nizza: Tonnenschwerer LKW als Mordwaffe 

    Der Tunesier Mohamed Lahouaiej-Bouhlel hatte die Strandpromenade von Nizza im Vorfeld ausgekundschaftet und einen schweren Kühllaster, seine spätere Mordwaffe, gemietet. Seine Todesfahrt an diesem Sommerabend, an dem etwa 30.000 Menschen auf der Promenade waren, um das traditionelle Feuerwerk zu sehen, dauert vier Minuten und 17 Sekunden.
    Er fährt im Zickzack, um möglichst viele Menschen zu treffen. Dann wird er von Polizisten erschossen. Zu spät für Anne Murris Tochter Camille.  
    Kurze Zeit später erklärt der Islamische Staat, der Attentäter in habe in seinem Namen gehandelt. Eine direkte Verbindung konnten die Ermittler nicht herstellen. Auf dem Laptop von Mohamed Lahouaiej-Bouhlel fanden sie Fotos unter anderem mit Osama bin Laden . Der 31-Jährige war unter anderem wegen Körperverletzung vorbestraft. Lahouaiej-Bouhlels Vater behauptet hinterher, sein Sohn sei psychisch krank gewesen. 

    Opfer hoffen auf Aufklärung 

    Was Lahouaiej-Bouhlel genau zu seiner Todesfahrt getrieben hat, ist eine der Fragen, die beim beginnenden Prozess am Montag geklärt werden sollen. Sechs Jahre hat es gedauert, bis der Prozess im Justizpalast in Paris beginnen kann. Viele der Zivilkläger werden in Paris vor Ort sein, so auch Murris. Gleichzeitig wird der Prozess für die Opfer auch in Nizza übertragen. Das Urteil wird im Dezember erwartet.  
    Angeklagt sind insgesamt acht Personen. Drei davon müssen sich für die Bildung einer terroristischen Vereinigung und Mitwissenschaft um die Pläne des Attentäters verantworten. Eine Komplizenschaft, also eine direkte Hilfe bei der konkreten Tat am 14. Juli, konnte die Staatsanwaltschaft ihnen allerdings nicht nachweisen. Ihnen drohen 20 bis 30 Jahre Haft. Den fünf anderen Angeklagten wird vorgeworfen, dem Attentäter bei der Beschaffung der Waffe geholfen zu haben. Einer von ihnen ist auf der Flucht. Er wird in Tunesien vermutet. 

    Prozess als Traumabewältigung 

    "Was passiert ist, ist so schrecklich und so brutal, dass es Gerechtigkeit geben muss. Und Gerechtigkeit bedeutet, dass die Personen, die man für verantwortlich hält, mit den schwerstmöglichen Strafen belegt werden", hofft Murris mit Blick auf den Prozess. Sie ist Zivilklägerin, mit ihr mehr als 800 Angehörige und Opfer des Anschlags. Viele der Zivilkläger werden aussagen.

    Für einige ist es sehr wichtig, sich zu äußern, weil sie seit sechs Jahren so viel auf dem Herzen haben

    Samia Maktouf, Anwältin

    Anwältin Samia Maktouf vertritt gut 40 der etwa 850 Nebenkläger. "Sie wollen verstehen, warum ihre Kinder, ihre Eltern, ihre Enkelkinder gestorben sind. Wie konnte der Terrorist den Blicken der Behörden entgehen? Und natürlich die Frage, die alle Opfer umtreibt: Wäre es möglich gewesen, ein so schreckliches Verbrechen zu verhindern?", sagt Maktouf.
    Für Anne Murris, der Mutter von Camille, ist eins klar: Der Prozess wird ihr Leid nicht lindern. Und doch ist er wichtig für sie. Nach dem Tod ihrer Tochter hat Murris einen Opferverein gegründet. Bis heute engagiert sich für Erinnerungsarbeit und die Errichtung von Denkmälern für die Opfer des Anschlags von Nizza. Das sei ihre Art, Sinn im Schrecken zu finden, sagt sie.