Antipersonenminen: Nato-Staaten setzen auf geächtete Waffen
Russische Bedrohung im Baltikum:Nato-Staaten setzen auf geächtete Landminen
von Nils Metzger
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Finnland, Polen und die baltischen Staaten wollen wieder Antipersonenminen einsetzen und aus einem wichtigen Abkommen zur Rüstungskontrolle austreten. Was sind ihre Beweggründe?
Polen, Finnland und die baltischen Länder planen zur Absicherung ihrer Grenzen den Einsatz von Antipersonenminen. In weiten Teilen der Welt ist die Waffenart verboten.04.04.2025 | 1:28 min
Jedes Jahr am 4. April ist der "Internationale Tag der Minenaufklärung". Was jahrelang höchstens eine seltene Gelegenheit war, um auf Opfer vergessener Konflikte und die Gefahr von Landminen aufmerksam zu machen, ist in diesem Jahr relevanter denn je.
Denn mit Antipersonenminen könnte eine in weiten Teilen der Welt verbotene Waffenart ein Comeback erleben - in Europa, direkt vor unserer Haustür. Am Dienstag kündigte Finnlands Ministerpräsident Petteri Orpo den Ausstieg seines Landes aus dem internationalen Verbotsvertrag gegen Antipersonenminen, dem sogenannten Ottawa-Abkommen, an. Mitte März hatten Polen und die baltischen Staaten bereits solche Schritte verkündet. Hintergrund ist die Bedrohung aus Russland.
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Was sind Antipersonenminen?
Antipersonenminen sind kleine Sprengfallen, die mit Blick auf Zerstörungskraft, Auslöser oder Wirkradius vor allem Menschen schaden sollen. Wie andere Minenarten können sie einzeln oder über große Entfernungen und in großer Stückzahl verteilt werden. Ihre Entschärfung ist aufwändig und verminte Gebiete können wegen Blindgängern über Jahrzehnte noch eine Gefahr sein. Automatische Entschärfungsvorrichtungen bieten keinen perfekten Schutz.
Die weltweiten Opfer durch Landminen.
Quelle: ZDF
Antipersonenminen sind auch deshalb umstritten, weil sie oft schwerste Verletzungen an Gliedmaßen auslösen, die zu Amputationen führen. Von Kindern sind kleine Antipersonenminen oft nicht als gefährlich erkennbar.
Seit 1997 haben sich zuletzt 164 Staaten im Ottawa-Abkommen dazu verpflichtet, solche Waffen nicht mehr einzusetzen, zu besitzen oder herzustellen. Damit ist die Konvention einer der erfolgreichsten völkerrechtlichen Verträge zur Rüstungskontrolle. Andere Minenarten, etwa gegen Panzer, sind nicht verboten.
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Was planen die Regierungen in Polen, Finnland und dem Baltikum?
Noch ist nicht endgültig beschlossen, wann sich Finnland, Polen und die baltischen Staaten aus dem Abkommen faktisch zurückziehen werden. Vollzogen ist der Schritt noch nicht. Rafael Loss, Militärexperte beim European Council on Foreign Relations, rechnet aber fest damit:
Die Anschaffung von Antipersonenminen dürfte nur eine Frage der Zeit sein.
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Rafael Loss, European Council on Foreign Relations
Polen will zur Grenzsicherung Anti-Personen-Minen einsetzen, wie auch Finnland und die baltischen Staaten. Die direkte Grenze zu Russland verstärkt das Bedrohungsgefühl.04.04.2025 | 1:28 min
Der Einsatz von Antipersonenminen an der Ostflanke betreffe dabei nicht nur Finnen, Polen und Balten, sondern auch jene Nato-Kräfte wie Deutschland, die als Verbündete dort kämpfen würden. Auch wenn sie selbst gar keine solchen Minen einsetzen. Der Einsatz müsse darum in jedem Fall innerhalb der Nato koordiniert werden, betont Loss. Auch Russland nutzt Antipersonenminen in großem Umfang.
Bis tatsächlich Landminen zum Einsatz kommen könnten, gibt es noch praktische Hürden, denn das Ottawa-Abkommen verbietet auch Entwicklung, Herstellung und Handel solcher Waffen. Mit Ausnahme der USA sind alle Nato-Staaten Vertragspartner - die Zahl möglicher Lieferanten ist also begrenzt.
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Welche militärischen Zweck haben diese Waffen?
Jahrzehntelang standen die baltischen Staaten unter sowjetischer Besatzung. Und auch jetzt sind sie geografisch besonders verwundbar. Die litauische Hauptstadt Vilnius liegt nur 30 Kilometer von der belarussischen Grenze und den in der Nähe stationierten russischen Truppen entfernt.
Mit einem schnellen Vorstoß könnte Russland auch die 65 Kilometer breite Suwalki-Lücke zwischen Polen und Litauen besetzen und das Baltikum so vom restlichen Nato-Gebiet abschneiden. Einen solchen Angriff trainieren Russlands Streitkräfte seit Jahren, und europäische Sicherheitsbehörden halten ihn für in wenigen Jahren möglich.
Infografik: Der neue Eiserne Vorhang
Der militärische Nutzen von Antipersonenminen bestehe im Wesentlichen darin, Angriffe von Infanterie zu unterbinden und zu verlangsamen, erklärt Loss. "In der Ukraine wirft Russland Welle um Welle an Infanterie gegen die ukrainischen Verteidigungslinien und erzielt damit - zu enorm hohen Kosten - beständig Geländegewinne. Antipersonenminen können dabei helfen zu verhindern, dass Verteidigungsstellungen durch Masse überrannt werden."
Ein russischer Vormarsch soll aufgehalten werden, bis Verstärkung aus dem restlichen Bündnisgebiet eingetroffen ist. Dafür befestigen die baltischen Staaten ihre Außengrenzen auch mit der sogenannten "Baltic Defence Line", einem Netzwerk aus Bunkern und Panzersperren. Hier würden Antipersonenminen im Ernstfall zum Einsatz kommen.
Die Suwalki-Lücke ist ein Territorium zwischen Belarus, Litauen und Polen. Bei einem Angriff könnte das Baltikum hier von den Nato-Partnern abgeschnitten werden.04.04.2025 | 2:16 min
Denken auch andere Nato-Staaten jetzt um?
Aktuell überlässt es die Nato jedem Mitgliedsland selbst, ob es Antipersonenminen einsetzen möchte.
In Schweden diskutieren einige Politiker einen Austritt aus der Konvention. Bislang aber nicht in der Intensität, wie zuletzt in den baltischen Staaten, Finnland oder Polen zu sehen war. Die meisten anderen Nato-Staaten halten an dem Vertrag fest.
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Rafael Loss, European Council on Foreign Relations
Insgesamt finde angesichts der Lehren des Ukraine-Kriegs ein Umdenken in der Nato statt. "Es geht darum, einem Russland zu begegnen, dass sich an Verträge und Zusagen nicht gebunden fühlt und das bereit ist, geopolitische Interessen mit brutalster militärischer Gewalt zu verfolgen. Für die Nato bedeutet das: weniger kooperative Sicherheit durch Abrüstung, mehr Abschreckung durch militärische Verteidigungsfähigkeit und -bereitschaft." Die Ankündigung zu Antipersonenminen folgt auf weitere westliche Aufrüstungsvorhaben etwa zu Streumunition oder Mittelstreckenraketen.
Welchen globalen Folgen könnte der Ausstieg haben?
Kaum ein anderes Abrüstungsabkommen ist ein solcher Erfolg weltweit wie das gegen Antipersonenminen. Der anstehende Austritt wichtiger europäischer Staaten ist ein Rückschlag für viele Abrüstungsbemühungen der 1990er Jahre. Gewissermaßen wird die Uhr wieder zurückgedreht in die Zeit des Kalten Krieges.
"Jeder Austritt aus der Ottawa-Konvention schwächt die internationale Ächtung von Antipersonenminen, deren Verbot ja nicht ohne Grund angestrebt wurde", sagt Loss. Damit wird es auch schwieriger, anderen Staaten weltweit den Einsatz solcher Waffen vorzuhalten.
Die Bundesregierung hält ungeachtet der Entscheidung von Nato-Verbündeten weiter an dem Verbot fest. Hinter den Kulissen gibt es aber durchaus Verständnis für die Ankündigung. "Angesichts des russischen Angriffskriegs ist es verständlich, dass insbesondere in Polen und den baltischen Staaten die Frage nach effektiven Verteidigungsmaßnahmen drängender denn je gestellt wird", heißt es aus Diplomatenkreisen gegenüber ZDFheute.
Viele Staaten haben Streumunition und Antipersonenminen wegen ziviler Opfer und Blindgänger verboten. Nun steigen mehrere Nato-Staaten aus den Verträgen aus. Was macht Deutschland?