Trump-Selenskyj-Eklat: Europa muss "Führung" organisieren
Interview
Experte zu Eklat im Weißen Haus:Mölling: Europa muss Führung organisieren
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Der Eklat im Weißen Haus alarmiert die Welt. Hat die Ukraine den Krieg nun verloren? Abwarten, rät Experte Mölling. Aktuell sei die US-Politik ein "Panoptikum der Widersprüche".
Die USA, die wir kannten, sei nicht mehr da, sagt Politikwissenschaftler Christian Mölling. Aus Washington höre man ein "Panoptikum der Widersprüche".28.02.2025 | 4:03 min
Es war ein spektakulärer Eklat: Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj wird nach einem heftigen Wortwechsel mit Donald Trump und seinem Vize, J.D. Vance - vor laufenden Kameras - gemaßregelt und aus dem Weißen Haus geworfen. Er könne ja "wiederkommen, wenn er Frieden will", ätzt Trump auf der Plattform X noch hinterher.
Für den Politik-Experten Christian Mölling, Direktor des Programms "Europas Zukunft" der Bertelsmann-Stiftung, kommt das alles nicht unbedingt überraschend. "Die USA, wie wir sie kannten", sagt er im Interview des ZDF heute journal, "gibt es vermutlich schon gar nicht mehr".
ZDF: Sind die USA noch unsere Verbündeten?
Christian Mölling: Ich glaube, wir sehen bei den USA nicht nur heute, sondern schon wenn wir auf die letzten Wochen zurückgucken, auf die Münchner Sicherheitskonferenz und auch auf die Rede des US-Verteidigungsministers, dass die USA, die wir kannten, sich tatsächlich transformieren, wahrscheinlich jetzt schon gar nicht mehr da sind.
Das sehen wir sowohl in der Außenpolitik, aber auch in der Innenpolitik, in der Art und Weise, wie die Trump-Administration den Staat eigentlich zerlegt.
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ZDF: Ist mit diesem persönlichen Streit zwischen Wolodymyr Selenskyj und Donald Trump der Ukraine-Krieg endgültig verloren?
Mölling: Ich glaube, das wird man jetzt abwarten müssen, wie sowohl Selenskyj als auch Trump in den nächsten Stunden und Tagen vielleicht darauf reagieren.
Die Frage ist, ob man versucht, Selenskyj die Schuld dafür zu zuschieben, dass es keinen Frieden geben kann, so wie Trump das verkündet hat. Und damit kann Trump sich aus den Verhandlungen verabschieden.
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Christian Mölling, Politik-Experte
Die Abwägungen, die Trump dabei leiten könnten, die sind tatsächlich nicht klar. Das ist im Grunde genommen das große Enigma, das wir seit Anfang der neuen Trump-Administration haben, dass wir eigentlich ein Panoptikum der Widersprüche bekommen.
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ZDF: Welche Auswirkungen hat das auf die Nato und Artikel 5, die Beistandsverpflichtung?
Christian Mölling: Na, ich denke, da sind wir im Grunde genommen schon seit zwei Wochen an dem Punkt, dass wir sagen können, wir wissen nicht, in welche Richtung die USA gehen. Die Tatsache, dass wir auch deswegen nicht mehr wissen, ob der Artikel 5 gilt, heißt, wir müssen annehmen, dass er zumindest für die USA nicht mehr gilt.
Was nicht bedeutet, dass die Europäer sich unter dem Artikel 5 nicht zusammen sammeln können. Aber es bedeutet, dass die USA als politischer und militärischer Führer der Nato wegfallen werden. Oder man muss zumindest annehmen, dass es so ist. Und man muss sich darauf einstellen: Das muss man sehr schnell machen.
Das Erste, was man braucht, ist die Organisation politischer Führung in Europa. Denn da waren die USA bislang immer der Taktgeber.
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Christian Mölling
Jetzt ist es so, dass man nicht erwarten kann, dass es den einen starken Staat in Europa gibt. Den gibt es zurzeit sowieso nicht. Es können aber auch nicht alle 27 EU-Staaten oder alle 30 oder 36 europäischen Staaten abstimmen.
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Das wird die schwierigste Einigung werden. Wer kann für wen sprechen? Und wer kann auch Entscheidungen treffen - letztendlich dann die über Leben und Tod?
Das Interview führte heute journal-Moderatorin Anne Gellinnek.
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