Virtueller G20-Gipfel: Warum Putin wieder die Bühne betritt

    Analyse

    Virtueller G20-Gipfel:Warum Putin wieder da ist

    Sebastian Ehm, ZDF-Korrespondent in Moskau
    von Sebastian Ehm
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    Erstmals seit dem russischen Angriff auf die Ukraine trifft Putin beim G20-Gipfel - wenn auch nur virtuell - wieder auf westliche Staatschefs. Der Auftritt ist kein Zufall.

    Es gab keinen Händedruck, keinen roten Teppich und auch kein Familienfoto bei diesem Termin. Insofern war der Auftritt von Kremlchef Wladimir Putin beim virtuellen Gipfeltreffen der G20-Regierungschefs weniger spektakulär als frühere. Trotzdem war das Treffen historisch.
    Das erste Mal, seit die russische Armee in die Ukraine einmarschiert ist, war der russische Präsident an einem Treffen zugeschaltet, an dem auch westliche Staatschefs wie der deutsche Kanzler Olaf Scholz oder der französische Präsident Emmanuel Macron teilnahmen.
    Der Ton seiner Rede war gemäßigter, als man es von ihm in den vergangenen Monaten gewohnt war. Putin gab sich als Elder Statesman, sprach von großer Sorge, die er wegen der Entwicklungen in der Welt habe.

    Politologe: Putin wieder bereit für große Bühne

    Warum aber nahm der russische Präsident wirklich an dem Treffen teil? Für den Politikwissenschaftler Kirill Rogow fühlt sich Putin in diesen Tagen sehr wohl in seiner Haut. "Erstens hat die ukrainische Gegenoffensive keinen signifikanten Erfolg erzielt", so Rogow.
    Zweitens wirke Putin auch innenpolitisch sehr gefestigt. "Die ersten 15 Monate des Krieges ist die Führung eher instabil gewesen, doch jetzt hat Putin das Armeekommando und die Wirtschaft gestärkt." Wladimir Putin fühle sich wieder bereit für die große Bühne.
    Es war zwar nur eine Online-Sitzung und es nahmen weder US-Präsident Joe Biden noch Chinas Staatspräsident Xi Jinping daran teil. Doch trotzdem trat Putin heute auf im Kreise von Scholz und Macron.

    Putins Auftritt: Geschenk von G20-Gastgeber Indien?

    Das dürfte die russische Staatspropaganda in den Abendsendungen genüsslich ausschlachten. Die Botschaft: Putin bewegt sich trotz des Krieges ohne Probleme auf dem diplomatischen Parkett. Er ist ein international geachteter Präsident. Auch der Fakt, dass sich Putin im März erneut zur Wahl stellt, dürfte bei den Chefstrategen im Kreml eine wichtige Rolle gespielt.
    Putins Auftritt war wohl ein Geschenk des Gastgebers Indien an den Kreml. Indien hat seine Rohstoff-Importe aus Russland stark nach oben gefahren. Neu-Delhi kauft - vermutlich zu verbilligten Preisen - gewaltige Mengen Öl und Gas aus Russland.

    Putin-Rede wohl eher Vernebelungstaktik

    Putins Rede im Kreise der G20 war vor allem eine Vernebelungstaktik. Er sprach über die besorgniserregende Sicherheitslage in der Welt, die schlechte wirtschaftliche Entwicklung und kündigte an, dass Russland große Schritte im Bereich des Klimaschutzes gehen werde.
    Dass er selbst vor knapp 21 Monaten einen großen Krieg auf europäischem Boden angefangen hat, erwähnt er eher beiläufig. Russland sei, so Putin, immer bereit gewesen für Verhandlungen mit der Ukraine. Aber Kiew selbst habe die Gespräche damals abgebrochen.

    Experte: Moskau braucht keine Ukraine-Verhandlungen

    Dass man selbstverständlich bereit sei für Verhandlungen, betonte Putin in der Vergangenheit immer wieder. Doch die Frage ist, was wäre überhaupt die Grundlage für Verhandlungen?
    Aus russischer Sicht sind die völkerrechtswidrig annektierten Gebiete wie die Krim, aber auch der Donbass, sowie die Gebiete Cherson und Luhansk nicht Teil der Verhandlungsmasse. Sie sind seit der Annexion offiziell ein Teil Russlands, so die Argumentation des Kreml.
    Schwer vorstellbar ist außerdem, dass Moskau bereit wäre, die Ukraine in die Nato und die EU zu lassen. Experte Kirill Rogow meint, dass Verhandlungen im Moment sehr unwahrscheinlich seien. "Putin braucht im Moment keine Verhandlungen. Er fühlt sich in der Situation ziemlich wohl, in dem Gleichgewicht, das sich entwickelt hat."

    Putin spekuliert vor allem darauf, dass die Unterstützung für die Ukraine aus dem Westen und vor allem aus den USA sinken wird.

    Kirill Rogow, russischer Politikwissenschaftler

    Für den russischen Präsidenten lief alles nach Plan. Er ist zurück auf dem internationalen Parkett. Der Auftritt dürfte auch ein Testlauf gewesen sein. Ein Ausloten, wie sich Scholz und Macron verhalten. Denn eines ist klar, langfristig ist es das Ziel von Wladimir Putin, wieder regelmäßig an Gipfeltreffen wie diesem teilzunehmen. Perspektivisch auch in Präsenz.
    Sebastian Ehm ist ZDF-Korrespondent für Russland, die Kaukasus-Region und Zentralasien.

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