Demos in Gaza: Wie die Hamas gegen ihre Kritiker vorgeht
Demos gegen Terrororganisation:Nach Protesten gegen Hamas zu Tode gefoltert
von Ninve Ermagan
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Odai demonstrierte in Gaza gegen die Hamas. Kurz darauf wurde er entführt und mutmaßlich zu Tode gefoltert. Die Terrororganisation geht mit äußerster Härte gegen Kritiker vor.
In den letzten Tagen hat sich im Gazastreifen ein beispielloser Widerstand formiert.
Quelle: ap
"Die Hamas verfolgt mich. Vor einiger Zeit haben sie meinen Bruder ermordet. Jetzt wollen sie mich erschießen. Es gibt keinen Ort mehr, an dem ich mich verstecken kann." Mit verzweifelter Stimme spricht der 22-jährige Palästinenser Odai Nasser Saadi Al-Rubai in die Kamera. Darin bittet er die Weltöffentlichkeit um Hilfe. Es ist ein Video, das sich in den sozialen Medien rasch verbreitet - und wie ein Abschied wirkt - und vermutlich auch einer ist.
Nach der Aufnahme, so berichtet seine Familie, entführten ihn Kämpfer der Hamas und folterten ihn laut Augenzeugen zu Tode. Seine Leiche soll später, mit Spuren schwerster Misshandlungen, vor dem Haus seiner Familie abgelegt worden sein.
X-Post eines Aktivisten
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Odai hatte sich getraut, öffentlich gegen die Hamas und ihren Krieg zu protestieren. Während seiner Beerdigung feuerte seine Familie Warnschüsse in die Luft und schwor Rache. Die Trauernden verwandelten die Zeremonie in eine spontane Demonstration, skandierten: "Hamas raus, raus!"
In den letzten Tagen hat sich im Gazastreifen ein beispielloser Widerstand formiert. Zum ersten Mal seit Jahren wagen es wohl Tausende Palästinenser, offen gegen die Hamas zu demonstrieren - trotz der brutalen Repression, für die die Terrororganisation berüchtigt ist. Laut mehreren Medienberichten handelt es sich um die größten Proteste seit dem Beginn des Krieges im Oktober 2023.
Trotz der autoritären Herrschaft der Hamas gehen im Gazastreifen erstmals Protestierende auf die Straße. Seit zwei Tagen ertönen "Hamas raus"-Rufe - ein Zeichen wachsender Verzweiflung.26.03.2025 | 1:35 min
Demonstranten: "Hamas muss gehen"
Bereits 2019 hatte es unter dem Motto "Wir wollen leben" ähnliche Proteste gegeben - damals richteten sie sich gegen Korruption und Misswirtschaft. Doch nun ist die Wut existenzieller. Viele Demonstranten sagen offen: Die Hamas sei für den Krieg mit Israel verantwortlich, für die zehntausenden Toten - und für das Leid der Bevölkerung.
Die Proteste konzentrieren sich auf Orte wie Gaza-Stadt, Beit Lahia und Chan Junis. Augenzeugen berichten von Parolen wie "Hamas, raus, raus" oder "Im Namen Allahs: Hamas muss gehen".
"Wir verdienen ein besseres Leben"
Auch prominente Stimmen haben sich dem Widerstand angeschlossen. Der Clanführer Hisham al-Barawi aus Beit Lahia forderte am vergangenen Dienstag - dem ersten Protesttag - ein Ende der Hamas-Herrschaft: "Wir wollen Frieden und Sicherheit in unserer Stadt, keine Herrschaft aus Eisen und Feuer. Wir entscheiden, wer uns regiert."
Er warf der Terrororganisation vor, in all den Jahren ihrer Herrschaft den Palästinensern nur Leid gebracht zu haben - und erklärte im saudischen Nachrichtensender Al-Hadath:
Wir sterben vor Hunger, unsere Kinder frieren, wir schlafen auf den Straßen. Es reicht. Das ist ungerecht. Wir verdienen ein besseres Leben.
„
Hisham al-Barawi
Nur wenige Tage nach seinem mutigen Statement starb al-Barawi an einem plötzlichen Herzinfarkt, nachdem bewaffnete Hamas-Kämpfer ihn und seine Familie bedroht hatten. Al-Barawi soll vor den Augen seiner Familie angegriffen worden sein.
X-Post von "The Times" - Journalistin
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Der palästinensische Friedensaktivist Hamza H., der im August 2023 aus Gaza nach Deutschland fliehen konnte, schildert im Interview mit ZDFheute ein Leben in permanenter Angst:
Kritik an der Hamas ist de facto verboten. Wer sich äußert, landet in 'Polizeistationen', die in Wahrheit Folterzentren sind.
„
Hamza H.
Hamza war bereits 2019 führend an der "Wir wollen leben"-Bewegung beteiligt, die sich gegen Korruption, Unterdrückung und die wirtschaftliche Misere unter der Hamas-Herrschaft richtete. "Unsere Forderungen waren klar: bessere wirtschaftliche Bedingungen und demokratische Wahlen."
In Gaza protestieren Hunderte gegen den Krieg mit Israel. Warum sich die Teile der palästinensischen Bevölkerung gegen die Hamas wenden, erklärt Nahost-Experte Sascha Bruchmann.26.03.2025 | 12:53 min
Für sein Engagement wurde er mehrfach festgenommen und misshandelt. Die Hamas habe damals mit massiver Gewalt reagiert - an einem einzigen Tag seien bis zu 3.000 Menschen festgenommen worden. Auch er selbst sei wiederholt inhaftiert und nur dank Bestechung seiner Familie freigekommen, berichtet er.
Quelle: privat
... ist ein palästinensischer Friedensaktivist, der in Gaza-Stadt aufgewachsen ist. Er lebte im von der Hamas kontrollierten Gazastreifen, bis er im August 2023 nach Deutschland flüchtete. Heute setzt er sich weiterhin für Frieden und Menschenrechte in Nahost ein.
In seinen öffentlichen Äußerungen kritisiert er sowohl die Hamas als auch die in Teilen rechtsextreme israelische Regierung.
Quelle: ZDF
Wer gegen Hamas ist, wird verhaftet
An den Repressionsmechanismen habe sich bis heute nichts geändert. Hamza berichtet von einem weiteren Aktivisten aus der Bewegung, der jüngst den Mut hatte, öffentlich die Hamas zum Ende des Krieges und zur Freilassung israelischer Geiseln aufzufordern.
Die Konsequenz: Er wurde verhaftet, schwer gefoltert und landete auf der Intensivstation eines Hamas-Krankenhauses.
„
Hamza H.
Dort habe man ihm eine Behandlung verweigert. Heute lebe er im Exil in den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Vor dem Hintergrund des harten Durchgreifens gegen Kritiker zeigt sich Hamza H. skeptisch. Er bezweifelt, dass die Proteste in ihrer jetzigen Form anhalten werden. Zu groß sei die Angst vor Verhaftungen, Folter - oder dem Tod.
ZDF-Korrespondent Thomas Reichart merkt dennoch an: "Bislang traute sich in Gaza kaum jemand, öffentlich gegen die Hamas aufzutreten. Dass das jetzt passiert, ist wirklich bemerkenswert." Das zeige zwei Dinge: "Erstens wie groß der Unmut gegen die Terrormiliz ist. Und zweitens, wie geschwächt die Hamas offenbar ist."
Offen gegen die Proteste vorzugehen, hat die Hamas bislang nicht gewagt, oder es fehlen ihr dafür die Kräfte.
Mit dem Hamas-Angriff auf Israel eskalierte der Nahost-Konflikt. Anfang des Jahres konnte eine Waffenruhe vereinbart werden. Nun fliegt Israel wieder Angriffe in Gaza.