Ukraine: Welche Folgen fehlende US-Aufklärungsdaten haben
Analyse
Trump will Kiew Infos entziehen:US-Datenembargo: Wie verheerend die Folgen wären
von Christian Mölling, András Rácz
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Die Details sind zwar noch unklar. Sicher ist aber, dass fehlende Aufklärungsdaten aus den USA für die Ukraine weitreichende Konsequenzen hätten.
US-Aufklärungsdaten spielen für die Ukraine eine zentrale Rolle.
Quelle: dpa
Am Dienstag haben die Vereinigten Staaten die Unterstützung der Ukraine mit Aufklärungsdaten vorerst eingestellt. Außerdem verbot Washington seinen Verbündeten, von den USA generierte Geheimdienstinformationen mit der Ukraine zu teilen.
Derzeit ist noch nicht klar, ob es sich um eine kurzfristige, vorübergehende Maßnahme handelt, die die Ukraine zurück an den Verhandlungstisch bringen und zur Unterzeichnung des Mineralienabkommens bewegen soll - oder ob es sich um eine endgültige Maßnahme handelt.
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US-Daten haben zentrale Bedeutung für die Ukraine
Die US-Informationen sind auf strategischer, operativer und taktischer Ebene von entscheidender Bedeutung: Sie reichen von der Überwachung großer Teile des russischen Luftraums - zur Hilfe der Ukraine bei der Vorbereitung von Luftangriffen - bis zum Aufspüren russischer Truppenkonzentrationen etwa 20 bis 30 Kilometer hinter der Frontlinie, wenn die Russen ihre Kräfte für einen Angriff zusammenziehen.
Auf der taktischen Ebene liefern die USA eine Fülle von Zieldaten, einschließlich der Daten, die für den Betrieb der HIMARS-Raketensysteme, der HARM-Anti-Radar-Raketen oder höchstwahrscheinlich der Storm Shadow-Marschflugkörper erforderlich sind.
Die Autoren der Militäranalyse:
Quelle: DGAP
... leitet das Programm "Europas Zukunft" für die Bertelsmann Stiftung in Berlin. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.
Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Auswirkungen vor allem am Kursker Vorposten
Die schwerwiegendsten taktischen und operativen Auswirkungen werden im Kursker Vorposten zu spüren sein, da es sich um russisches Gebiet handelt. Selbst wenn also nur eine begrenzte Einschränkung des Informationsaustauschs stattgefunden hat, werden die ukrainischen Streitkräfte, die in Kursk kämpfen, dies mit Sicherheit sehr zu spüren bekommen.
Die Auswirkungen könnten schnell kommen und verheerend sein und viele ukrainische Soldaten, die dort eingesetzt sind, das Leben kosten. Bleibt das Verbot des Informationsaustauschs länger bestehen, ist es gut möglich, dass die Ukraine gezwungen sein wird, den Kursker Vorposten aufzugeben. Damit würde sie eines ihrer wichtigsten territorialen Verhandlungsobjekte gegenüber Russland bei künftigen Waffenstillstandsverhandlungen verlieren.
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Folgen für ukrainische Luftverteidigung befürchtet
Andere Auswirkungen hängen vom tatsächlichen Ausmaß der Kürzung des Informationsaustauschs ab, was sich aufgrund offensichtlicher operativer Sicherheitserwägungen aus offenen Quellen kaum genau rekonstruieren lässt.
Generell wird die Effizienz der ukrainischen Luftverteidigung ohne die nachrichtendienstliche Unterstützung der USA drastisch sinken, insbesondere gegen ballistische Raketen und moderne Marschflugkörper. Höchstwahrscheinlich werden auch die Patriot-Raketensysteme unbrauchbar, sodass die Ukraine keine Luftabwehr für Langstreckenraketen mehr haben wird.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Russland die Luftangriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur sofort verstärken wird, wenn die USA ihre Abwehrmaßnahmen verringern.
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Langstreckenangriffe für Ukraine wären unmöglich
Am Boden werden die ukrainischen Einheiten nicht mehr in der Lage sein, mit verschiedenen Raketen des HIMARS-Systems - wahrscheinlich auch mit der europäischen Version des Systems, der M270 - Langstreckenangriffe durchzuführen. Außerdem wird ihre Fähigkeit, russische Truppenkonzentrationen im Voraus zu erkennen, also größere Angriffe vorherzusagen, erheblich beeinträchtigt werden.
Risiken im Schwarzen Meer steigen
Auf dem Meer werden alle ukrainischen Marinedrohnensysteme, die sich bei der Zielerfassung auf US-Aufklärungsdaten verlassen haben, unbrauchbar. Bleibt der Geheimdienstausfall länger bestehen, könnten russische Kriegsschiffe wieder in das westliche Becken des Schwarzen Meeres einfahren und möglicherweise sogar versuchen, den Seeverkehr von und zur Ukraine erneut zu blockieren.
Reputationsschaden für die USA enorm
Im weiteren Sinne ist die Entscheidung ein Schritt zur rapiden Verschlechterung des Images der USA als verlässlicher Verbündeter. Die plötzliche Kürzung der nachrichtendienstlichen Unterstützung wird mit Sicherheit viele Menschenleben in der Ukraine kosten, insbesondere an der Front, aber auch im Hinterland.
Die Entscheidung zeugt von völliger Missachtung nicht nur des ukrainischen Lebens, sondern auch - und das ist aus strategischer Sicht noch wichtiger - aller früheren Investitionen der USA, die darauf abzielten, die Ukraine im Kampf zu halten und Russlands konventionelle Streitkräfte zu schwächen.
Außerdem stellt sich für alle Verbündeten der Vereinigten Staaten die Frage, ob sie sich noch auf Washington verlassen können oder ob eine plötzliche, einseitige Entscheidung, ihnen den Geldhahn zuzudrehen, jeden Moment kommen kann - je nachdem, was Präsident Donald Trump zu tun gedenkt.
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Eine zentrale Frage ist das Ausmaß der Geheimhaltung
Eine wichtige Randbemerkung: Dies ist ein weiterer Moment, in dem die Aufrechterhaltung der operativen Sicherheit von entscheidender Bedeutung ist. Der Grund dafür ist, dass Russland auch nicht weiß, welche Art von nachrichtendienstlicher Unterstützung gekürzt wurde und ob überhaupt noch etwas funktioniert.
Moskau weiß auch nicht, ob andere Länder die Ukraine weiterhin mit nachrichtendienstlichen Informationen versorgen - und wenn ja, in welcher Form und auf welchem Niveau. Die Beantwortung dieser Fragen hat für die russischen Nachrichtendienste derzeit wahrscheinlich oberste Priorität.
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