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Lager Al-Hol in Syrien:Unkontrollierte Rückkehr von IS-Anhängern?
von Julia Klaus
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In einem Lager für IS-Angehörige in Syrien drohen Gewalt und Ausbruchsversuche, weil die Finanzierung unklar ist. Auch 13 Deutsche leben dort. Die Leiterin fürchtet ein "Desaster".
Es ist ein Lager in der syrischen Wüste, das manche den "kleinen Islamischen Staat" nennen: In der Zeltstadt Al-Hol leben streng bewacht rund 37.000 Menschen, meist Familien von Angehörigen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Darunter sind auch 13 deutsche Frauen und Kinder, wie die Lager-Leiterin Jihan Hanan gegenüber ZDF frontal berichtet. Nun könnte es zu massiven Sicherheitsproblemen kommen, weil die Finanzierung wichtiger Dienstleister auf der Kippe steht. Auch die Bundesregierung beendete die Finanzierung eines Projekts.
Ende Januar hatte die neue US-Regierung unter Donald Trump völlig überraschend die Auslandshilfen eingefroren. Davon betroffen sind auch Dienstleister, die in syrischen Lagern für IS-Angehörige im Bereich humanitäre Hilfe und Sicherheit arbeiten. Zwar wurde der Zahlungsstopp für einige Projekte um Tage aufgeschoben, wie die "New York Times" berichtet. Eine Garantie, dass es danach weitergeht, gibt es aber nicht.
- Lager und Gefängnisse in Syrien: Was wird aus den inhaftierten IS-Kämpfern?
Lager-Leiterin in Syrien warnt vor "Desaster"
Sollten die USA die finanzielle Hilfe beenden, drohe ein "Desaster", warnte Lager-Leiterin Jihan Hanan gegenüber ZDF frontal:
Es betrifft unter anderem die Gesundheits-, Essens- und Wasserversorgung im Camp. Menschen werden wütend werden. Die Wahrscheinlichkeit für Ausbrüche und Aggression wird steigen. Das wird IS-Zellen innerhalb und außerhalb des Lagers helfen.
Jihan Hanan, Leiterin des Al-Hol-Camps
Die Region im Nordosten des Landes wird von einer kurdisch dominierten Selbstverwaltung kontrolliert. Hier herrschte einst die Terrormiliz Islamischer Staat, die 2019 offiziell militärisch besiegt wurde. Weg war der IS aber nie. Im Gegenteil: Zehntausende IS-Angehörige sitzen dort in Lagern und Gefängnissen. Die Terrormiliz könnte die Instabilität nutzen, um Anhänger zu befreien und neue zu rekrutieren. Rückkehrer könnten auch in Deutschland Anschläge begehen.
Bundesregierung holte bereits 80 Kinder zurück
Laut Auswärtigem Amt sitzt noch immer eine "niedrige zweistellige Zahl an Frauen und Kindern mit deutscher Staatsangehörigkeit" in Lagern im Nordosten Syriens. Bei Rückkehrwilligen werde jeder Einzelfall geprüft. Man habe bereits 27 Frauen, 80 Kinder und einen Heranwachsenden, der als Kind nach Syrien gebracht worden war, nach Deutschland zurückgeholt.
Neben dem Al-Hol-Camp gibt es noch das kleinere Lager Roj, in dem die meisten europäischen Familien leben. Dort sei man von möglichen Ausfällen von US-Zahlungen nicht ganz so stark betroffen, sagt Leiterin Jihan Hanan.
Auch Auswärtiges Amt beendete Förderung
ZDF frontal erfuhr, dass das Auswärtige Amt bereits 2023 ein Programm beendete, mit dem Polizisten ausgebildet werden, die auch in Al Hol für Sicherheit sorgen sollen. Die Firma "Proximity International" betreibt ein Programm zur Ausbildung und Ausrüstung lokaler Sicherheitskräfte im Nordosten Syriens. Nach dem Rückzug der Deutschen übernahm das US-Außenministerium die Finanzierung. Doch das Projekt steht nun auf der Kippe.
Sollten sie ihre Arbeit nicht fortsetzen können, fürchtet eine Person von Proximity International, die aufgrund der unsicheren Lage nicht namentlich genannt werden möchte: "IS-Familien werden das Lager verlassen, ohne verfolgt zu werden, und 'anständige Menschen' werden ihren Weg zurück nach Europa finden."
Ein Projekt der NGO "Blumont" zur Sicherheit und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt im Al Hol und Roj Camp wird vom Auswärtigen Amt dagegen weiter gefördert. Doch ob der größere Geldgeber USA die Arbeit von "Bluemont" weiterhin unterstützen, ist weiter ungewiss.
Rund 30 deutsche IS-Angehörige in Haft
Neben den Zeltlagern für Frauen und Kinder gibt es auch Gefängnisse für männliche IS-Anhänger. Laut Selbstverwaltung sitzen rund 30 Deutsche in Haft. ZDF frontal konnte als erstes deutsches Fernsehteam seit dem Sturz von Baschar al-Assad im Hochsicherheitstrakt in Hasaka drehen und mit zwei deutschen Insassen sprechen.
- Für immer hinter Gittern? Deutsche IS-Anhänger im syrischen Gefängnis
Dirk Pleil und Alaeddine Taieb wollen zurück nach Deutschland. Sie beteuern, beim IS nicht gekämpft zu haben. Die kurdische Selbstverwaltung betont, dass die Männer in ihre Herkunftsländer zurückkehren und dort vor Gericht gestellt werden sollten. Die Bundesregierung hat indes nicht vor, sie zurückzuholen.
Lager-Leiterin Jihan Hanan berichtet von wachsendem Druck im Lager, der sich in wiederholten Schmuggel-Versuchen durch den IS zeige. Erst kürzlich seien fünf Minderjährige aus Indonesien, Turkmenistan und Syrien entkommen. Auch habe man Waffen gefunden, darunter fünf Granaten. Sie hofft, dass die Situation unter Kontrolle bleibt und nicht noch mehr fliehen können.
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