Israels Armee räumt "völliges Versagen" am 7. Oktober ein
Angriff am 7. Oktober 2023:Israels Armee räumt "völliges Versagen" ein
|
Israels Armee hat ihr "völliges Versagen" bei dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 eingeräumt. Die Erkenntnisse könnten auch den Druck auf Ministerpräsident Netanjahu erhöhen.
Generalstabschef der israelischen Armee, Generalleutnant Herzi Halevi (rechts).
Quelle: AFP
Ein Untersuchungsbericht des israelischen Militärs zu der von der Hamas angeführten Terrorattacke vom 7. Oktober 2023 hat den Streitkräften eine eklatante Fehleinschätzung der Absichten der militant-islamistischen Palästinenserorganisation bescheinigt. Der israelischen Armee sei es nicht gelungen, die Menschen in Israel zu schützen, hieß es in einer am Donnerstag veröffentlichten Zusammenfassung des Berichts.
Das Militär habe die Fähigkeiten der Hamas unterschätzt und sei damals vom Überraschungsangriff von Tausenden schwer bewaffneten Kämpfern in den frühen Morgenstunden des jüdischen Feiertags Simchat Tora (Freude der Tora) völlig überrumpelt worden, hieß es weiter. "Der 7. Oktober war ein Totalausfall", räumte ein Offizier unter Zusicherung von Anonymität ein.
Seit den traumatischen Terrorangriffen der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 haben wir den Krieg beobachtet, Menschen in Israel und Gaza getroffen und ihre Schicksale begleitet. 26.09.2024 | 29:57 min
Bericht: Erkentnisse aus 77 Untersuchungen
Für den Untersuchungsbericht wurden die Ergebnisse von 77 Untersuchungen zu den Ereignissen in israelischen Ortschaften, auf Armeestützpunkten und bei Kämpfen an zahlreichen anderen Orten im Grenzgebiet zum Gazastreifen zusammengetragen.
Die für das Grenzgebiet zuständige Gaza-Division sei bei dem Angriff "überrannt" worden und habe nicht verhindert, "dass Terroristen die Kontrolle übernahmen und in den Gemeinden und Straßen des Gebiets Massaker verübten", führte der Bericht aus.
Angriff auf Israel (Karte Israel, Gazastreifen etc.)
ZDFheute Infografik
Ein Klick für den Datenschutz
Für die Darstellung von ZDFheute Infografiken nutzen wir die Software von Datawrapper. Erst wenn Sie hier klicken, werden die Grafiken nachgeladen. Ihre IP-Adresse wird dabei an externe Server von Datawrapper übertragen. Über den Datenschutz von Datawrapper können Sie sich auf der Seite des Anbieters informieren. Um Ihre künftigen Besuche zu erleichtern, speichern wir Ihre Zustimmung in den Datenschutzeinstellungen. Ihre Zustimmung können Sie im Bereich „Meine News“ jederzeit widerrufen.
Israelische Armee "zu selbstsicher" vor dem Angriff
"Wir hätten uns solch ein Szenario nicht vorstellen können", sagte ein Militärvertreter vor der Veröffentlichung des Berichts. Die von der radikalislamischen Hamas angeführten militanten Palästinenser hätten Israel nicht nur durch die Größe und das Ausmaß des Angriffs "überrascht", sondern auch mit dessen "Brutalität". Die Armee sei "zu selbstsicher" gewesen und habe die militärischen Fähigkeiten der Hamas falsch eingeschätzt.
Der Angriff der Hamas erfolgte dem Untersuchungsbericht zufolge in drei aufeinanderfolgenden Wellen. In der ersten Welle seien "mehr als tausend Terroristen" einer Hamas-Eliteeinheit nach Israel gelangt, während zeitgleich ein massiver Raketenangriff vom Gazastreifen aus gestartet worden sei. Die zweite Welle umfasste demnach 2.000 Kämpfer und in der dritten Welle kamen hunderte weitere Kämpfer sowie mehrere tausend Zivilisten nach Israel.
Insgesamt sind während des Angriffs rund 5.000 Terroristen in israelisches Gebiet eingedrungen.
„
Erklärung des israelischen Militärs
Überlebende und Hinterbliebene erinnern sich an den Tag, der ihr Leben und die Welt erschüttert hat.22.11.2024 | 43:30 min
Armeechef Halevi übernimmt die Verantwortung
Kurz nach der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts übernahm der israelische Armeechef Herzi Halevi die Verantwortung für das Versagen der Streitkräfte. "Ich war der Kommandeur der Armee am 7. Oktober und ich trage auch für Sie alle die volle Verantwortung", sagte Halevi in einer Videobotschaft. Halevi hatte bereits im Januar wegen des "Versagens" der Armee unter seinem Kommando seinen Rücktritt eingereicht. Er ist aber noch bis zum 6. März im Amt.
Am 7. Oktober 2023 waren die Kämpfer der Hamas und verbündeter islamistischer Gruppen vom Gazastreifen aus in den Süden Israels eingedrungen. In mehreren Ortschaften, auf einem Musikfestival und als Geiseln im Gazastreifen wurden israelischen Angaben zufolge insgesamt 1.218 Menschen getötet, überwiegend Zivilisten. Israel ging nach dem Hamas-Überfall massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben der Hamas-Gesundheitsbehörde mindestens 48.365 Menschen getötet. Die UN hat diese Angaben als zuverlässig eingestuft.
Der Bericht könnte den Druck auf Netanjahu erhöhen
Die Erkenntnisse könnten den Druck auf Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erhöhen, eine breiter angelegte Untersuchung zu den politischen Entscheidungen zu veranlassen, die den Massakern vom 7. Oktober vorausgingen. Viele Israelis sind ohnehin der Ansicht, dass die Versäumnisse rund um den Terrorangriff nicht nur dem Militär, sondern einer gescheiterten Strategie des Regierungschefs anzulasten seien, der in den Jahren zuvor aus Expertensicht eher darauf gesetzt hatte, die Hamas abzuschrecken und zugleich ruhigzustellen.
Dazu gehörte der Ansatz, für den Gazastreifen bestimmte Geldkoffer aus Katar zu dulden und die mit der Hamas rivalisierende Palästinensische Autonomiebehörde an den Rand zu drängen.Netanjahu hat erklärt, er wolle sich harten Fragen zum 7. Oktober erst nach einem offiziellen Ende des Gaza-Kriegs stellen, der seit fast sechs Wochen durch ein Waffenruhe-Abkommen mit der Hamas unterbrochen ist.
Mit dem Hamas-Angriff auf Israel eskalierte der Nahost-Konflikt. Anfang des Jahres konnte eine Waffenruhe vereinbart werden. Seit dieser Nacht fliegt Israel wieder Angriffe in Gaza.