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Parlamentswahlen am Montag:Trump-Effekt: Was für Kanadas Wähler zählt
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Preisanstieg, Migration und Wohnungsmangel waren die Themen in Kanada, bevor Trump ins Amt kam. Jetzt zählen nur noch dessen Zoll- und Annexionsdrohungen. Wer bietet ihm die Stirn?
Frühling in Toronto sieht in diesen Tagen so aus: Bei 14 Grad Celsius am Abend reichen das Fan-Trikot der Toronto Maple Leafs und eine Shorts den meisten Eishockeyfans, um beim Public Viewing der Play Offs nicht zu frieren. Toronto gewinnt 3:2 gegen Ottawa, da wollen die meisten eigentlich nur feiern und nicht über Politik und die Parlamentswahl am Montag sprechen.
"Worum es bei diesen Wahlen geht? Um Trump natürlich, das ist doch offensichtlich," sagt Tamy McCallan, einer der Fans. "Die Wirtschaft ist im Eimer, Wohnungen sind für junge Leute wie mich unerschwinglich und nein, wir wollen nicht der 51. Bundesstaat der USA werden."
Eigentlich gibt es viele Themen, die die Kanadier gerade beschäftigen: Fragen, wie man die Wirtschaft in Schwung bringen kann, der Inflation und den steigenden Preisen zu Leibe rückt, das Problem der Wohnungsknappheit lösen will und nicht zuletzt, wie kanadische Migrationspolitik aussehen soll, spalten das Land. Alles schwergewichtige Themen, verdrängt durch die aggressiven Zoll- und Annexionsdrohungen des US-Präsidenten Donald Trump.
Trumps Zollpolitik bedroht Kanadas Wirtschaft
Seit dessen dramatischem Kurswechsel herrschen kollektive Verunsicherung, Angst und Wut in der kanadischen Bevölkerung. Kaum ein Kanadier hätte geglaubt, dass seine Existenz einmal von der Politik im Weißen Haus abhängig sein wird. Doch jeder weiß, wie sehr Kanadas Wirtschaft auf den Export in die USA aangewiesen ist und dass die Arbeitslosigkeit steigen könnte. 77 Prozent aller kanadischen Ausfuhrgüter erreichen den mächtigen Nachbarn - vor allem Öl und Gas, aber auch Lebensmittel und Holz.
Vielerorts können sich Unternehmer nicht ad hoc neue Märkte erschließen. Und die Autoindustrie zum Beispiel ist so miteinander verzahnt, dass man im kanadischen Windsor manchmal nicht weiß, wie oft ein Bauteil die Grenze ins amerikanische Detroit überquert hat, bis es schließlich im fertigen Auto landet. Windsor und Detroit gelten als Schwesterstädte. Sie sind durch eine Brücke und Tunnel verbunden, vor allem aber durch das Versprechen, dass sie sich gegenseitig Stabilität garantieren. Jetzt herrscht hier vor allem Ratlosigkeit und Frust.
Zulauf für "Boycott USA"-Bewegung
"Was für ein sinnloser Handelskrieg mit einem befreundeten Nachbarn," findet auch Herb Staudinger und versucht dabei gelassen zu bleiben. Er stellt Kunststoffbauteile her, um Badewannen umzurüsten, damit sie stufenlos begehbar sind. Es ist sein Patent, die Produktion ist in der Nähe von Toronto. "Made in Canada" - darauf ist er stolz. Er wird demnächst zur Reha-Messe nach Düsseldorf fahren, denn auch in Europa sieht er einen Markt für sein Produkt.
Doch neben Existenzängsten, schlägt einem fast überall in Kanada auch ein neuer, teilweise etwas trotziger Patriotismus entgegen: "Buy Canadian" steht über vielen Geschäften, "made in Canada" als Kaufanreiz auf vielen Produkten und in Sportswear-Geschäften kann man T-Shirts und Kappen kaufen, auf denen "Canada is not for sale" steht. Trumps ruchlose Drohung, Kanada zu annektieren, hat die Kanadier ins Mark getroffen und eine Welle der Solidarität ausgelöst. Der "Boycott USA"-Bewegung schließen sich viele an, kaufen keine amerikanischen Produkte mehr oder ändern ihre Urlaubspläne. Die Buchungen von US-Reisen sind hier um 70 Prozent gesunken.
Wer liegt in den Umfragen vorn?
Nach dem Rücktritt von Premierminister Justin Trudeau deutete zunächst alles auf einen Kurswechsel in Kanada und einen Erdrutschsieg für die Konservative Partei hin. Noch Mitte Januar lag die Partei von Pierre Poilievre in Umfragen um mehr als 25 Prozentpunkte vorn. "Change" und "Canada first" - markige Worte und eine Art Trump-light-Rhetorik sind sein Motto. Doch inzwischen liegt die liberale Partei von Mark Carney in allen Umfragen vorne. Der Spitzenkandidat, so Beobachter, könnte für viele Kanadier genug "Change" sein, denn sie trauen ihm, dem Finanz- und Wirtschaftsexperten eher zu, Trump die Stirn bieten zu können. Und das ist vermutlich auch die wahlentscheidende Frage.
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