Frieden statt Aufrüstung: Was die Zivilgesellschaft leisten kann
Krieg in Europa:Wie kann Frieden gelingen?
von Luisa Houben und Max Schwarz
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80 Jahre nach dem Ende des Weltkriegs ringt Europa um Frieden - auf internationalen und lokalen Bühnen. Warum zivilgesellschaftliches Engagement entscheidend sein kann.
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Für ihn war Frieden nie selbstverständlich: Jürgen Menzel, 64 Jahre alt, aus Aalen. In den 1980ern ging er gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen in Mutlangen auf die Straße. In den 2000ern gegen den Irak-Krieg. Heute hilft er russischen Deserteuren und ukrainischen Geflüchteten.
Beim Gedanken an den Krieg in Gaza spürt er Ohnmacht. Ein Gefühl, von dem er sich nicht lähmen lassen will, sagt Menzel im Interview mit ZDFheute.
Es braucht eine starke Zivilgesellschaft.
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Jürgen Menzel, Friedensaktivist
Menzel ist Sozialpädagoge und Mitglied bei den Grünen. Als Trainer für Konflikttransformation und Friedensbildung geht er an Schulen. Ehrenamtlich organisiert er Demos und Mahnwachen, ging für Aktionen schon ins Gefängnis. Er ist überzeugt: "In der persönlichen Begegnung kann Frieden gelingen." Im Kleinen wie im Großen.
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Was heißt Frieden überhaupt?
80 Jahre lang gab es in Deutschland keine kriegerischen Auseinandersetzungen, dennoch war das Land im Kalten Krieg Aufmarschgebiet, drohte im Konflikt zwischen Ost- und Westblock zum Schlachtfeld zu werden. Die Angst vor einer nuklearen Eskalation war groß.
Eine Gewöhnung an Frieden habe sich in Deutschland daher erst mit dem Ende des Kalten Krieges ausgebreitet, sagt Nicole Deitelhoff. Sie ist Professorin für internationale Beziehungen an der Universität Frankfurt und leitet das Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung.
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"Die Abwesenheit von organisierter Gewalt ist die Minimalanforderung, um von Frieden zu sprechen", sagt sie im Interview mit ZDFheute. Ziel sei, sich einem positiven Frieden anzunähern:
Keine extremen Ungleichheiten, keine extremen Ungerechtigkeiten.
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Nicole Deitelhoff, Politikwissenschaftlerin
Was Demos für Frieden bewirken können
Das klingt utopisch. Und auch Friedensaktivist Jürgen Menzel weiß: "Eine Demo juckt weder Putin noch Netanjahu." Einen Unterschied aber könnten sie trotzdem machen. Denn mit Protestaktionen und Dialogangeboten erreiche er seine Mitmenschen, Politik und örtliche Institutionen wie die Kirchen.
Besonders wichtig für Menzel: Junge Menschen zu befähigen in den Austausch zu gehen, Konflikte zu reflektieren und zu lösen.
Solches zivilgesellschaftliches Engagement sei in einer Demokratie nicht zu unterschätzen, bestätigt Politikwissenschaftlerin Deitelhoff:
Wir können Regierungen dazu zu bringen, sich zu positionieren. Wir können fordern, dass internationale Organisationen einschreiten.
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Nicole Deitelhoff, Politikwissenschaftlerin
Zivilgesellschaft als Korrektiv
Als Jürgen Menzel in den 1980er Jahren gegen Pershing-II-Raketen demonstrierte, florierte die Friedensbewegung. Heute fehlt vielerorts der Nachwuchs. Den öffentlichen Diskurs bestimmen Forderungen nach Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit.
Die sieht Menzel kritisch - ohne das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine gegen den Aggressor Russland in Frage zu stellen. Gleichzeitig wünscht er sich mehr Dialog - auch mit Russland: "Es braucht eine faire Behandlung der Ukraine und damit eine Chance auf echte Friedensverhandlungen."
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Menzel fürchtet die Eskalation. Mögliche Langstreckenwaffen-Lieferungen von Deutschland an die Ukraine fände er falsch. Damit ist er nicht allein. Der scheidende Bundeskanzler Olaf Scholz lehnte es ab, Taurus zu liefern. Der neue, Friedrich Merz, hatte es nicht ausgeschlossen.
"Wir müssen diese Debatten führen," sagt Deitelhoff. Beidseitig Argumente zu prüfen sei zentral in einer demokratischen Öffentlichkeit. "Die organisierte Zivilgesellschaft ist ein wesentliches Korrektiv, um zu verhindern, dass sich solche Debatten verselbstständigen und man sich nur noch in dieser Eskalationsspirale bewegt."
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Deitelhoff: Frieden immer mitdenken
Auch wenn angesichts der aktuellen Bedrohung eine Fokussierung auf Wehrhaftigkeit und damit auch Aufrüstung wichtig sei, bestehe eine Gefahr ausschließlich in einer Abschreckungslogik zu denken:
Wir müssen im Blick haben, dass wir nicht zukünftig einen Frieden verhindern, sondern in eine Phase kommen, wo man über Begrenzung von Rüstung und friedlicher Koexistenz spricht.
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Nicole Deitelhoff, Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung
Menzel hofft, dass das gelingt.
"Wir haben diese Strukturen und damit Instrumente, um Frieden zu regeln”, sagt Menzel. “Wir müssen sie nutzen.” Im Großen wie im Kleinen.
Luisa Houben und Max Schwarz sind Reporter*innen im ZDF-Landesstudio Stuttgart.