Russische Nukleardoktrin: Putins Taktik im Ukraine-Konflikt

    Russische Nukleardoktrin:Putins Spiel mit der Angst und dem Diskurs

    von Sebastian Ehm und Felix Klauser
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    Mitten in den USA-Besuch von Selenskyj platzt Präsident Putin mit der "Klarstellung" der russischen Nukleardoktrin. Die Drohung hat System: Der Kreml will den Diskurs bestimmen.

    Wladimir Putin
    Russlands Präsident Wladimir Putin (Archivbild)
    Quelle: AFP

    Der russische Sicherheitsrat tagt immer freitags. Normalerweise. Doch diese Woche zieht Wladimir Putin das Treffen kurzerhand vor. Er zeigt einmal mehr, wie sehr der Kreml darauf bedacht ist, seine Narrative zu setzen - und die Ukraine damit unter Druck.
    Denn bislang lag der politische wie mediale Fokus in dieser Woche auf der Ukraine, genauer auf Wolodymyr Selenskyj: Auftritt vor den Vereinten Nationen in New York, Treffen mit Präsident Biden in Washington, Ankündigung, einen sogenannten "Siegesplan" vorzustellen.
    Mitten hinein in diese Ankündigung und die USA-Reise von Selenskyj platzt Präsident Putin: mit seiner vorgezogenen Sitzung des Sicherheitsrats und der im Zuge dessen verkündeten "Klarstellung" der russischen Nukleardoktrin.
    TN: Entscheidende Kriegsphase für Ukraine?
    Der ukrainische Präsident Selenskyj will seinen Siegesplan präsentieren, unterdessen verschärft Putin die russische Atomdoktrin. ZDFheute live analysiert die aktuelle Lage.26.09.2024 | 38:22 min

    "Klarstellung" der Nukleardoktrin ein Bluff?

    Künftig, so sieht es der Kreml vor, soll eine Atommacht, die den Angriff eines anderen Landes mit konventionellen Waffen auf Russland unterstützt, als Teil der Aggression betrachtet werden. Ob Russland in diesem Fall tatsächlich mit Atomwaffen reagieren würde, ließ Putin allerdings offen.
    Russlandexperten, wie Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik, sehen in den Aussagen Putins vielmehr einen rhetorischen Bluff, als eine tatsächliche Verschärfung der Lage.

    Die 'Klarstellung' Putins ändert nichts Grundsätzliches an der russischen Nukleardoktrin. Bereits seit der Militärdoktrin von 2010 gilt, dass Russland sich im Fall eines konventionellen Angriffes, der die Existenz des Staats gefährdet, den Einsatz von Nuklearwaffen vorbehält.

    Margarete Klein, Stiftung Wissenschaft und Politik

    sgs coerper
    Russlands Präsident Putin kündigt eine Anpassung seiner Atomdoktrin an. Was das für Deutschland bedeute, sei noch unklar, berichtet ZDF-Korrespondent Armin Coerper aus Moskau.26.09.2024 | 2:06 min

    Experte: "x-te Nukleardrohung Putins"

    Nichtsdestotrotz steht nach Putins Auftritt für ein paar Stunden nicht mehr der "Siegesplan" der Ukraine im Fokus der Debatte, sondern Russlands rote Linien. Und die Gefahr einer Eskalation des Krieges.
    Dass die Eskalationsgefahr tatsächlich gestiegen ist, bezweifeln Sicherheitsexperten, wie Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr. "Putin versucht seit Tag eins der Vollinvasion, die Unterstützung der Ukraine durch nukleare Drohungen einzudämmen", so Sauer. "Das ist die x-te Nukleardrohung Putins."

    Putin äußert sich wie üblich vage. Das ist natürlich volle Absicht. Es verstärkt bestehende Unsicherheiten.

    Frank Sauer, Sicherheitsexperte

    TN: "Gibt verschiedene Optionen zu eskalieren"
    Eine mögliche Eskalation sei auch für Russland mit Risiken verbunden, so Militäranalyst Franz-Stefan Gady. Der Westen habe auch Möglichkeiten die Eskalationsdynamik zu beherrschen.26.09.2024 | 10:17 min

    Gemischte Signale zu Friedensgesprächen

    Es ist nicht das erste Mal, dass Russland versucht, der Ukraine vor wichtigen Terminen zuvorzukommen und so die Hoheit über den Diskurs zu erlangen. Gleiches war bereits vor dem Friedensgipfel in der Schweiz im Juni zu beobachten, als Putin am Abend zuvor seine eigenen Bedingungen für die Aufnahme von Friedensverhandlungen vorlegte.
    Dieser Tage, rund drei Monate nach dem Gipfel in der Schweiz, wird der Ruf nach diplomatischen Bemühungen wieder lauter. Dass Russland dabei gemischte Signale sendet, dürfte Teil des Kreml-Kalküls sein. Noch Anfang September zeigte sich Putin beim Wirtschaftsforum in Wladiwostok offen für Gespräche - diese Woche aber zeigt der Kreml die kalte Schulter. Verhandlungen? Nicht mit uns.
    Explosion einer Atombombe mit Atompilz.
    Immer wieder droht der russische Präsident Wladimir Putin im Konflikt mit der Ukraine mit dem Einsatz von Atomwaffen. Die atomare Abschreckung scheint nicht mehr zu funktionieren.10.10.2024 | 29:05 min

    Sieg statt Frieden

    Es ist die Rhetorik, die aufhorchen lässt. Immer wieder wird jetzt vom Sieg gesprochen. Sowohl von Selenskyj (Stichwort: "Siegesplan") als auch vom Kreml. Deswegen dürften die Einlassungen von Außenminister Sergej Lawrow nicht zufällig sein, die dieser am Mittwoch aus New York über die Nachrichtenagentur in die Welt setzte. "Wir brauchen einen Sieg", sagt Lawrow da.

    Sie verstehen keine andere Sprache. Wir werden gewinnen. Daran gibt es keinen Zweifel.

    Sergej Lawrow, russischer Außenminister

    In dieselbe Kerbe schlägt der Hardliner und ehemalige Präsident Dmitri Medwedew. Er schreibt auf Telegram: "Keine Verhandlungen mehr, bis der Feind komplett besiegt ist."
    In this pool photograph distributed by the Russian state agency Sputnik, Russia's President Vladimir Putin chairs a Security Council
    Die russische Gegenoffensive in Kursk läuft weiter an. Der russische Präsident Putin sprach erneut Drohungen gegen westliche Waffenlieferanten der Ukraine aus.13.09.2024 | 1:36 min

    Atomare Drohgebärden des Kreml

    Die Ukraine treibt in New York den Westen mit der Debatte um den Einsatz von Langstreckenwaffen gegen Ziele auf russischem Territorium vor sich her und Putin antwortet mit atomaren Drohgebärden.
    Margarete Klein meint: "Es geht Putin wohl vor allem darum, in den Führungen und Bevölkerungen der westlichen Staaten Angst zu schüren, um eine weitere militärische Unterstützung zu verhindern - vor allem dass die Ukraine befähigt wird, weiter in russisches Gebiet hinein Luftschläge durchzuführen."
    Ob der Plan des Kreml aufgeht, wird sich dieser Tage zeigen, womöglich schon beim Aufeinandertreffen von Biden und Selenskyj in Washington. Ungeachtet der Ergebnisse des Treffens steht fest: Das Ringen um den Diskurs und die Deutungshoheit im Ukraine-Krieg wird weitergehen - und Putins Spiel mit der Angst.
    Sebastian Ehm und Felix Klauser berichten als Korrespondenten über Russland, den Kaukasus und Zentralasien.
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