Thema
FAQ
Pager-Explosionen:Steckt Israel hinter Vorfällen im Libanon?
von Katharina Schuster
|
Sind die Pager-Explosionen im Libanon ein Machtbeweis? Der pro-iranischen Hisbollah-Miliz ist ein schwerer Schlag zugefügt worden. Experten vermuten Israel hinter den Vorfällen.
Am Dienstag sind im Libanon hunderte Pager von Hisbollah-Mitgliedern explodiert. Tausende wurden verletzt.18.09.2024 | 1:27 min
Ein Mann steht an einem Gemüse-Stand in Beirut. Dann explodiert plötzlich etwas in seiner Hosentasche. Der Mann sackt in sich zusammen. Umstehende Menschen beim Einkauf flüchten. Zeitgleich ereignen sich solche Explosionen am Dienstag an vielen Orten im Libanon. Videos davon überschwemmen die Sozialen Netzwerke.
Was bekannt ist: Hunderte tragbare Kommunikationsgeräte, sogenannte Pager, sind mutmaßlich koordiniert explodiert. Mehr als 2.750 Menschen wurden verletzt, darunter auch der iranische Botschafter in Beirut. Neun Menschen wurden getötet.
Die kleinen Geräte waren so etwas wie ein Vorläufer des Handys. Die Grundidee: Wenn man mit jemandem sprechen will, pingt man den Pager der Person an. Diese sieht die Telefonnummer - oder eine kurze Nachricht - und kann zurückrufen oder entsprechend der Nachricht handeln.
Pager wurden vor allem seit den 80er Jahren breit eingesetzt, unter anderem bei Rettungsdiensten. Die permanente Erreichbarkeit dank der allgegenwärtigen Handys machte sie jedoch weitgehend überflüssig. Unter anderem die Feuerwehr nutzt sie aber teils weiterhin. Inzwischen gibt es auch Modelle, auf denen man eine Nachricht zurückschicken kann.
Dass eine Miliz wie die Hisbollah in großem Stil Pager verwendet, hat wohl einen einfachen Grund: Anders als bei Handys oder Smartphones kann ihr Aufenthaltsort nicht ermittelt werden. Denn ein gewöhnlicher Pager ist nur ein Empfänger, der nicht in ein Netz eingeloggt ist. Alle Pager in einem Gebiet gleichzeitig zu aktivieren, ist unterdessen kein Problem. (Quelle: dpa)
Pager wurden vor allem seit den 80er Jahren breit eingesetzt, unter anderem bei Rettungsdiensten. Die permanente Erreichbarkeit dank der allgegenwärtigen Handys machte sie jedoch weitgehend überflüssig. Unter anderem die Feuerwehr nutzt sie aber teils weiterhin. Inzwischen gibt es auch Modelle, auf denen man eine Nachricht zurückschicken kann.
Dass eine Miliz wie die Hisbollah in großem Stil Pager verwendet, hat wohl einen einfachen Grund: Anders als bei Handys oder Smartphones kann ihr Aufenthaltsort nicht ermittelt werden. Denn ein gewöhnlicher Pager ist nur ein Empfänger, der nicht in ein Netz eingeloggt ist. Alle Pager in einem Gebiet gleichzeitig zu aktivieren, ist unterdessen kein Problem. (Quelle: dpa)
Wer steckt hinter dem Vorfall?
Die Hisbollah nutzt aus Sicherheitsgründen Pager, weil diese ihre eigene Funkfrequenz haben. Dadurch vermeiden sie die Risiken, dass ihre Kommunikation zurückverfolgt, abgehört oder blockiert wird, wie es bei Handys der Fall sein könnte.
Expert*innen sehen in dem beispiellosen Vorfall einen Coup des israelischen Geheimdienstes gegen die schiitische Miliz und ihre Unterstützer in Teheran. Israel habe die Pager bereits vor der Lieferung an Hisbollah-Mitglieder manipuliert, um sie alle am gleichen Tag zu einer bestimmten Uhrzeit zur Explosion zu bringen.
Nach den Pager-Explosionen im Libanon hat die pro-iranische Hisbollah Miliz Vergeltung angekündigt. ZDF-Korrespondent Michael Bewerunge ist in Tel Aviv und schätzt die Lage ein.
18.09.2024 | 1:37 min
Aus dem Umfeld der Hisbollah erfuhr die Nachrichtenagentur AFP, dass die explodierten Pager erst kürzlich importiert wurden. Die Hisbollah hatte demnach tausend dieser Geräte erhalten, die "an der Quelle sabotiert" worden seien. Wie die Agentur Reuters unter Berufung auf Insider berichtet, soll der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad die Geräte schon Monate vor der Auslieferung an die Hisbollah mit Sprengstoff präpariert haben. In 5.000 Pagern sei bereits bei der Produktion eine kleine Menge Sprengstoff versteckt worden. Ähnliche Berichte finden sich in der "New York Times" und dem "Wall Street Journal".
Der ehemalige CIA-Analyst Michael P. DiMino von der US-Denkfabrik Defense Priorities macht im Gespräch mit ZDFheute klar, dass es sich "eindeutig um eine Operation des Mossad", also des israelischen Geheimdienstes handele. Diese ziele darauf ab, Chaos unter den Hisbollah-Mitgliedern im Libanon zu säen.
Auch Guido Steinberg, Nah- und Mittelostexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), erklärt im ZDF-Morgenmagazin:
Kein anderer Akteur in der Region verfüge über die Mittel für eine solche Aktion oder habe ein Interesse daran, sagt der SWP-Experte.
"Vor allem auf israelischer Seite gibt es Stimmen, die einen Präventivkrieg gegen die Hisbollah führen", so Guido Steinberg, Nahostexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik.18.09.2024 | 4:05 min
Bislang gibt es keine Gewissheit, wer hinter diesen koordinierten Angriffen steckt. Israels Armee äußerte sich bislang nicht zu den Vorfällen.
Was ist die Explosionsursache?
Ein "sehr kleiner Sprengsatz" in den Pagern und nicht das Überhitzen der Batterie sei die wahrscheinlichste Explosionsursache, stellt DiMino fest. Bei den Pagern handele es sich um handelsübliche Geräte, die von israelischen Geheimdiensten so modifiziert wurden, dass sie eine kleine Sprengladung und einen Auslöseschalter enthalten, um eine Fernzündung zu ermöglichen. Die Lieferkette sei unterbrochen worden.
Und dessen Vorbereitung habe wahrscheinlich "Monate, wenn nicht Jahre" gedauert, so DiMino. Die Israelis seien in der Lage gewesen, diese Sprengsätze in die Hände zu bekommen, bevor sie zur Hisbollah gelangten, "und haben sie manipuliert, ohne dass die Gruppe darauf aufmerksam wurde".
Darüber hinaus könnte auch ein externer Cyberangriff die Pager zur Überhitzung gebracht haben. Im Gespräch mit ZDFheute halten die Experten aber die Sprengsätze für wahrscheinlicher. Dennoch: "Für beide Szenarien, Cyber-Aktion wie Sprengladung, hätte man genug Präzedenzfälle von Seiten der Israelis", sagt Nahost-Experte Fabian Hinz vom International Institute for Strategic Studies (IISS).
Im Libanon sind hunderte Mitglieder der pro-iranischen Hisbollah-Miliz schwer verletzt worden, offenbar durch explodierende Pager. Was bislang bekannt ist, berichtet Anne Brühl.17.09.2024 | 0:53 min
Wussten die USA Bescheid?
"Ich kann Ihnen sagen, dass die USA nicht daran beteiligt waren", sagt der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller. "Die USA waren sich dieses Vorfalls nicht im Voraus bewusst. Und zum jetzigen Zeitpunkt sammeln wir Informationen."
Sind so viele zeitgleiche Explosionen überhaupt technisch möglich?
Es ist möglich, zeitgleich eine Vielzahl von Batterien zu beschädigen, daran bestehe kein Zweifel, macht Justin Cappos, Professor für Cybersicherheit an der New York University (NYU), gegenüber ZDFheute klar.
Unwahrscheinlich wiederum sei es, dass normale Geräte auf diese Weise beeinflusst werden konnten, auch wenn Lithium-Ionen-Batterien in einigen seltenen Fällen Brände verursachen können.
Seit Jahrzehnten gärt der Nahost-Konflikt in der Region um Palästina. Um was geht es bei diesem Konflikt zwischen Juden und Arabern überhaupt?20.10.2023 | 25:58 min
Wie geht es weiter?
Die UN-Sonderkoordinatorin für den Libanon spricht in einem Statement davon, dass die Pager-Explosionen eine "äußerst besorgniserregende Eskalation in einem ohnehin schon unannehmbar instabilen Umfeld" darstellen. Zivilist*innen seien kein Ziel und müssten jederzeit geschützt werden.
X-Post des Büros der UN-Sonderkoordinatorin
Ein Klick für den Datenschutz
Erst wenn Sie hier klicken, werden Bilder und andere Daten von X nachgeladen. Ihre IP-Adresse wird dabei an externe Server von X übertragen. Über den Datenschutz dieses Social Media-Anbieters können Sie sich auf der Seite von X informieren. Um Ihre künftigen Besuche zu erleichtern, speichern wir Ihre Zustimmung in den Datenschutzeinstellungen. Ihre Zustimmung können Sie im Bereich „Meine News“ jederzeit widerrufen.
Jedes zivile Opfer sei eines zu viel, sagt Jeanine Hennis-Plasschaert und fordert alle betroffenen Akteure auf, "von weiteren Aktionen oder kriegerischer Rhetorik Abstand zu nehmen, die einen größeren Flächenbrand auslösen könnten, den sich niemand leisten kann."
Die Hisbollah werde sich wie auch schon in den vergangenen Monaten überlegen, wie sie überhaupt reagieren kann, erklärt SWP-Experte Steinberg. Die Miliz habe große Probleme, "geeignete Reaktionsweisen zu finden". Sie werden versuchen, Israel "militärisch wehzutun", andererseits werden sie wie bisher versuchen, einen großen Krieg zu vermeiden. Die Hisbollah sei in einer "misslichen Situation".
Die große Frage sei nun, was nach den Pager-Explosionen kommt, stellt der ehemalige CIA-Analyst Michael P. DiMino fest. "Es ist selten, dass Geheimdienstoperationen dieses Ausmaßes ohne Verbindung zu anderen nationalen Zielen durchgeführt werden."
"Ist dieser Angriff ein Versuch, die Hisbollah vor einem israelischen Bodenangriff auf den Südlibanon zu vernichten? Ich denke, das könnte der Fall sein", so DiMino.
Katharina Schuster ist ZDF-Redakteurin im Studio Washington D.C.
Quelle: ZDF
Sie wollen stets auf dem Laufenden bleiben? Dann sind Sie bei unserem ZDFheute-WhatsApp-Channel genau richtig. Egal ob morgens zum Kaffee, mittags zum Lunch oder zum Feierabend - erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt auf Ihr Smartphone. Nehmen Sie teil an Umfragen oder lassen Sie sich durch unseren Mini-Podcast "Kurze Auszeit" inspirieren. Melden Sie sich hier ganz einfach für unseren WhatsApp-Channel an: ZDFheute-WhatsApp-Channel.
Quelle: mit Material von AFP und Reuters
Themen
Aktuelle Nachrichten zum Nahost-Konflikt
FAQ
Quellen, Reporter, Faktenchecks :So berichtet das ZDF über den Gaza-Krieg
Liveblog
Liveblog :Aktuelle Nachrichten zur Eskalation in Nahost
Geheimdienstzentrale attackiert :Israel greift weiter Ziele in Beirut an
mit Video
Vor Jahrestag des Hamas-Angriffs :Tausende bei Demos in deutschen Großstädten
mit Video
Jahrestag des Hamas-Überfalls :Israel und Iran: Warten auf den Gegenschlag
mit Video
Nahost-Krieg :Macron stoppt Waffenlieferungen an Israel
Demos gegen Israel :Schuster: "Tiefpunkt der Menschlichkeit"
mit Video
Vor dem 7. Oktober :Hunderte demonstrieren in Berlin zum Jahrestag
mit Video
Jahrestag des Hamas-Massakers :Faeser: Hart einschreiten bei Antisemitismus
mit Video
Aufwachsen im Westjordanland :Kindheit zwischen Zorn und Gewalt
mit Video
Hamas-Kommandeur getötet :Angriff auch im Norden Libanons
mit Video
Ein Jahr nach dem 7. Oktober :"Es ist jetzt angesagt, Israelis zu hassen"
mit Video
Angespannte Lage im Nahen Osten :Libanon: Neue Luftangriffe Israels in Beirut
mit Video
Jahrestag des Hamas-Überfalls :Polizei warnt vor Gewalt zum 7. Oktober
mit Video
Nachrichten | ZDF-Morgenmagazin :Libanon: "Schwere Angriffe"
2:16 min
Nachrichten | ZDF-Morgenmagazin :Irans Präsident auf Auslandsreise
2:59 min
Nachrichten | ZDF-Morgenmagazin :Nahost: "Katastrophale weitere Ausweitung"
4:07 min
Angriff auf Ölanlagen? :Biden: Verhandeln über Iran-Reaktion
mit Video
Rawhi Muschtaha :Israel: Ranghoher Hamas-Führer getötet
Alternativer Nobelpreis :Auszeichnung für Anti-Siedler-Organisation
mit Video
Experte zu Iran bei "Lanz" :Masala: "Mehr als ein symbolischer Schlag"
mit Video