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Ausgesetzt, geschlagen, gejagt:So leiden gestrandete Flüchtlinge in Tunesien
von Mirco Keilberth
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Entlang der tunesischen Küste bei Sfax und Zarzis leben zehntausende Menschen in Olivenhainen. Ihr Überleben müssen sie selbst organisieren. Hilfsorganisationen bleiben außen vor.
Die ersten Patienten stehen schon kurz nach Sonnenaufgang vor seiner improvisierten Klinik Schlange. Der Arzt Ibrahim Foumata und sein Freiwilligenteam sortieren ihre Medikamentenvorräte inmitten eines Olivenfeldes - viel Zeit nimmt das nicht in Anspruch, die Spritzen - Schmerzmittel und Verbände für durchschnittlich 30 Patienten am Tag - finden in zwei kleinen Pappkartons Platz.
"Nach der Behandlung etwa von schweren Verletzungen haben wir auch gar nichts mehr auf Lager", sagt der 24-Jährige. "Dann hoffen wir darauf, dass die Patienten noch ein wenig Geld haben, um zumindest Schmerzmittel oder Desinfektionsflüssigkeit zu kaufen."
Tunesien-Route galt lange als einfachster Weg nach Europa
Der Mann aus Sierra Leone lebt selbst in einem der informellen Flüchtlingslager nördlich der tunesischen Hafenstadt Sfax. In Freetown hat er Medizin studiert, mit einem Bachelor in Chirurgie. Eigentlich wollte Foumata an einem Krankenhaus in seiner Heimat arbeiten. Doch wegen des Engagements seines Onkels für die Opposition geriet er ins Visier der Regierungsmilizen, machte sich auf den Weg nach Tunesien.
Die Küste bei Sfax galt lange als einfachste Weg, um auf die italienische Insel Lampedusa zu gelangen, und damit in den Schengen-Raum.
Dunkelhäutige Menschen wurden gejagt
Wie viele in den informellen Lagern hat Foumata eine Odyssee hinter sich. Als er letztes Jahr in Tunis ankam, nahmen Sicherheitskräfte oft dunkelhäutige Menschen aus Bussen oder Taxis in Gewahrsam, Banden jagten Menschen, die sie für Migranten hielten. Die Zahl der Migranten und Flüchtlinge war zuvor drastisch gestiegen. Auf Geheiß von Präsident Kais Saied und des "Nationalen Sicherheitsrates" sollte daher die Zahl der Menschen aus Subsahara-Afrika, die in tunesischen Cafes oder als Putzkräfte für weniger als den Mindestlohn arbeiten, reduziert werden.
Dr. Ibrahim Foumata versucht, den Geflücheten zu helfen. Die Mittel, die ihm dafür zur Verfügung stehen, sind begrenzt.
Quelle: Mirco Keilberth
Seit dem Abkommen mit der EU ist der Weg versperrt
2023 reiste EU-Kommissions-Chefin Ursula von der Leyen nach Tunesien und unterzeichnete zusammen mit der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni und deren niederländischen Amtskollegen Mark Rutte ein Migrationsabkommen mit Präsidenten Saied. Obwohl nur als Absichtsabkommen, als "Memorandum of Understanding", formuliert, veränderte die Kooperation zwischen Brüssel und Tunis die Lage in wenigen Wochen dramatisch.
Kaum noch eines der von lokalen Schmugglern in wenigen Stunden zusammengebauten Boote erreicht italienische Hoheitsgewässer. Die auch von Deutschland mitfinanzierte und unterstützte Küstenwache fängt fast jedes Boot ab. Man rette damit Leben, so ein Sprecher der "Garde Nationale Maritime." 2024 kamen um mehr als die Hälfte weniger Migranten aus Nordafrika in Italien an, als im Vorjahr.
Lebensumstände wie in einem Kriegsgebiet
Die auf dem Mittelmeer Aufgegriffenen werden im Hafen von Sfax freigelassen und schlagen sich auf eigene Faust in eines der zwanzig Lager, die an der Küste gelegen sind, durch.
Immer wieder aber werden Migranten an die algerische oder libysche Küste gefahren und dort ausgesetzt. Meist ohne Wasser oder Verpflegung.
Kritik an Migrationspolitik ist gefährlich
"Mit den sporadischen Deportationen und dem Zugangsverbot für Hilfsorganisationen sollen neue Migranten davon abgehalten werden, nach Tunesien zu kommen", sagt eine Mitarbeiterin einer Organisation der Vereinten Nationen.
Sie möchte anonym bleiben, denn schon Kritik an der Migrationsstrategie ist gefährlich. Die tunesische Rechtsanwältin Sonia Dahmani wurde zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil sie in einer Talkshow der Meinung eines anderen Teilnehmers widersprach, nach der die Migranten in Tunesien ein Paradies sehen würden.
Medizinische Hilfe fehlt
Ibrahim Foumata hat die Feldkliniken mit privaten Spendengeldern gegründet, mit Kritik an Tunesien hält er sich zurück, denn viele seiner Patienten überleben nur durch Lebensmittelspenden von Passanten aus den umliegenden Fischerdörfern.
Doch die Untätigkeit von internationalen Hilfsorganisationen macht ihn wütend. In den letzten zwei Wochen starben fünf Menschen an leicht zu behandelnden Infektionen und Krankheiten. "Die Verhältnisse in sudanesischen Flüchtlingslagern, mitten im Bürgerkrieg, sind teilweise besser als hier."
Quelle: dpa
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