Kriegsgefangene in der Ukraine: Blick ins Gefangenenlager
Die geheimen Lager der Ukraine:Der Umgang mit russischen Kriegsgefangenen
von Anne Brühl, Kiew
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Die Ukraine will es besser machen, besser als Russland. Deshalb ermöglicht sie Journalisten den Zugang zu Lagern mit russischen Kriegsgefangenen. Fünf davon gibt es im Land.
Sie werden an einem geheimen Ort gefangen gehalten: Russische Kämpfer, die im Krieg gegen die Ukraine gedient haben. Darunter befinden sich auch Söldner aus Kuba und Sri Lanka. 01.02.2025 | 2:32 min
Schon am Eingang hängt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948. Die russischen Soldaten, die hier zunächst ihre Uniform abgeben müssen und neu eingekleidet werden, lesen sie auf dem Weg ins Lager: "Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person", steht da zum Beispiel. Es ist ein Anspruch, an dem die Ukraine sich messen lassen will. Einmal im Monat ermöglicht sie deshalb Journalisten, einheimischen und ausländischen, den Zugang zu solchen Einrichtungen.
Werbetour für die Menschlichkeit
Das Internationale Rote Kreuz, heißt es, habe jederzeit unangemeldet Zutritt zu den Einrichtungen. Es ist eine Werbetour für die Menschlichkeit. Vitalij Matvienko von der ukrainischen Koordinierungsstelle für die Behandlung von Kriegsgefangenen führt uns durchs Lager:
Wir sind ein demokratischer Staat, deshalb bleiben Militärangehörige in Gefangenschaft nach den Normen der Genfer Konvention.
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Vitalij Matvienko, ukrainische Koordinierungsstelle für die Behandlung von Kriegsgefangenen
Und dann ermahnt er uns: Wir könnten mit Gefangenen sprechen, allerdings nur, wenn jeder einzelne zustimme.
Den Krieg wollte Trump am ersten Tag beenden, inzwischen spricht er von sechs Monaten. Die Gefechte gehen indes weiter, Menschen sterben, die Ukraine bangt um ihre Zukunft.29.01.2025 | 1:59 min
Familienkontakt übers Rote Kreuz
Wir treffen den 28-jährigen Andrij in einer Art Freiluft-Gym. Gefangene stemmen Hanteln, machen Klimmzüge. All unsere Gespräche finden weitab von ukrainischen Aufpassern statt. Andrij ist seit 16 Monaten in Kriegsgefangenschaft. Er hat Kontakt mit seiner Mutter, die Briefe laufen über das Rote Kreuz. Er werde gut behandelt, sagt er uns.
Wer als Kriegsgefangener gilt, regelt das Dritte Genfer Abkommen zur Behandlung von Kriegsgefangenen von 1949. Auch Russland und die Ukraine gehören zu den Unterzeichnern. Es ist ein völkerrechtlich bindendes Abkommen, das 196 Staaten unterschrieben haben. Es regelt, wer ein Kriegsgefangener ist: Kämpfende, die in die Gewalt des Feindes fallen. Das können Soldaten, Partisanen und unter Umständen auch Zivilisten sein.
Kriegsgefangene müssen mit Menschlichkeit behandelt werden. Sie müssen vor Gewalt, Erniedrigung und Zurschaustellung geschützt werden. Eine Internierung im Lager ist möglich - sie dürfen allerdings nicht in Zellen eingesperrt oder in strenger Haft gehalten werden. Kriegsgefangene haben das Anrecht auf eine medizinische Behandlung. Über Briefe muss ihnen der Kontakt mit Familie und Freunden ermöglicht werden. Filmaufnahmen sind grundsätzlich nicht verboten, nur solche, die die Gefangenen in ihrer Würde verletzten. Zu ihrem Schutz haben wir alle Gesichter von Gefangenen unkenntlich gemacht.
Und: dass sich sein Blick auf den Krieg in der Gefangenschaft verändert habe. Wie, das will er uns nicht sagen. Er hofft darauf, bei einem der Gefangenenaustausche freizukommen. Aber insgesamt ist er pessimistisch: "Ich denke, dass dieser Krieg noch Jahrzehnte dauern wird."
Nach Donald Trumps Amtseinführung sind die Ukrainer zwischen Hoffen und Bangen, wie es nun weitergeht.04.02.2025 | 9:10 min
"Weil Menschen gegen Menschen kämpfen - wofür?"
Iwan treffen wir auf der Krankenstation, er ist erst seit gut zwei Wochen in Gefangenschaft. Seine Schrapnellwunde am Knie hat eine ukrainische Ärztin behandelt. Er selbst hat sich nicht freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet. Er sei zu Hause mit dem Gesetz in Konflikt geraten, dann habe ihm die Polizei das Angebot gemacht, die Sache zu regeln, wenn er sich freiwillig melde.
Andrey war zunächst Grenzsoldat bevor er nach ein paar Monaten an die Front bei Belgorod geschickt wurde. Mit dem Erlebten dort kommt er nicht gut zurecht: "Ich bin schockiert. Weil Menschen gegen Menschen kämpfen - wofür?"
Ein aus Nordkorea nach Südkorea geflüchteter Mann erklärt seine Sicht auf den Ukraine-Krieg und ist überzeugt, dass nordkoreanische Soldaten nicht den Sold aus Russland erhalten. Dieser fließe in die Staatskasse.
13.01.2025 | 2:33 min
Russische Gefangene - aus Sri Lanka oder Kuba
Wir werden durch Schlafsäle, Waschräume, Aufenthaltsräume geführt. Wie viele russische Kriegsgefangene festgehalten werden, sagt die Ukraine nicht. Gegessen wird in zwei Schichten. In der Schlange treffen wir auf Männer aus Kuba, Sri Lanka, Nepal. Wie sie hier gelandet sind, darüber wollen sie nicht sprechen.
Vitalij Matvienko von der ukrainischen Koordinierungsstelle für die Behandlung von Kriegsgefangenen erzählt uns, wie Russland in all diesen Ländern anwerbe: Männer, die zumeist kein Wort Russisch sprächen. Und er sagt auch:
Die Propaganda der Russischen Föderation ist sehr wirkungsvoll.
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Vitalij Matvienko, ukrainische Koordinierungsstelle für die Behandlung von Kriegsgefangenen
Nach mehr als zwei Jahren wurde Mihailo Kruzhkov durch einen Gefangenenaustausch freigelassen. Er erzählt von seiner Leidenszeit und von seinem großen Wunsch nach Frieden.08.08.2024 | 2:33 min
UN hat kaum Zugang zu russischen Gefangenenlagern
Die russischen Kriegsgefangenen lassen mich an meine Begegnung mit Mihailo Kruzhkov denken, den ich im Juli 2024 getroffen hatte. Er war damals seit gut zwei Monaten in Freiheit - nach mehr als zwei Jahren Kriegsgefangenschaft in Russland. Abgemagert, ausgezehrt hatte er mir von der Folter berichtet.
Das UN-Menschenrechtsbüro in Kiew hat gerade Zahlen veröffentlicht, nach denen seit Ende August 2024 79 ukrainische Kriegsgefangene in Russland erschossen wurden. Auf ukrainischer Seite ist ein Fall dokumentiert. Die Leiterin des Büros, Danielle Belle, erinnert an das humanitäre Völkerrecht. Früher schon hatte sie beklagt, dass internationale Organisationen nur sehr schwer Zugang in Russland bekämen. Die Ukraine setzt deshalb auf Transparenz. "Wir sind," betont Vitalij Matvienko, "ein demokratischer Staat."
Quelle: dpa
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