Deutschlands neue Außenpolitik:Die Merkel-Jahre sind vorbei
30.07.2022 | 21:58
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Bei Annalena Baerbocks Türkei-Besuch fliegen fast die Fetzen: Wie die Außenministerin mit ihrem neuen Stil in Ankara aneckt - und warum die Türkei sich Merkel zurückwünscht.
"Ich habe Baerbock gesagt", "ich habe Baerbock eine Liste vorgelegt": Für Frau Baerbock oder Ministerin Baerbock schien der Übersetzer in der denkwürdigen Pressekonferenz in der türkischen Hauptstadt Ankara keine Zeit zu haben.
Und so kam ein wenig respektvoller Ton bei allen Mitreisenden und der Außenministerin an. Die Stimmung bei Annalena Baerbocks (Grüne) Treffen mit ihrem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu war von Beginn an schlecht.
Lange Liste deutsch-türkischer Differenzen
Es zog sich durch das Vier-Augen-Gespräch, das dann vor der Presse fortgeführt wurde. Die Liste der deutsch-türkischen Differenzen ist lang, vieles wurde angesprochen: die Inhaftierung des türkischen Oppositionellen Osman Kavala, mögliche militärische Interventionen der Türkei in Nordsyrien, der absurde Streit zwischen der Türkei und Griechenland um griechische Inseln.
Die Türkei beklagt ihrerseits zunehmenden Rassismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland und Europa.
Unter Merkel sei alles besser gewesen, so Cavusoglu
Man sei hier, um sich die Meinung zu sagen, sagte Baerbock. Freundschaften erforderten es freilich auch, sich "gegenseitig zuzuhören, auch wenn einem vielleicht die Ohren schmerzen": Denn Diplomatie heiße nicht, "nur Platitüden auszutauschen". Cavusoglu, der mit allen Wassern gewaschene Langzeit-Außenminister, nimmt den Ball auf - und pariert Baerbocks Äußerungen mit süffisantem Lächeln und scharfen Worten.
Fast flogen die Fetzen. Selten wurde von Seiten der türkischen Regierung so deutlich einem Gast öffentlich die Meinung gesagt: Unter der Vorgängerregierung, unter Merkel sei doch alles besser gewesen - so Cavusoglus Tenor. Aufrichtig und fair sei es da zugegangen. Der Stich saß, ein Affront gegenüber der Ampel-Koalition.
Baerbocks neuer außenpolitischer Ton
Nicht nur die Türkei, auch andere Länder werden sich wohl gewöhnen müssen an den Stil der noch neuen Bundesaußenministerin: hart in der Sache, klare und deutliche Worte, dennoch freundlich im Umgang.
Nicht nur der Ton und der Stil sind anders, nein auch die Priorität bei solchen Besuchen. Baerbock nimmt sich diesmal mehr Zeit für Gespräche mit Opposition und Nichtregierungsorganisationen als für die Regierung, setzt inhaltlich andere Schwerpunkte: Klimaschutz, Frauenförderung, Geflüchtete, Menschenrechte. Dazu gibt es auf jeder ihrer Reisen Gesprächstermine.
Ob das bei der Reise nach Ankara sinnvoll war, wird sich zeigen. Das Klima zwischen Deutschland und der Türkei hat sich so wohl nicht verbessert.
Quelle: Mit Material von AFP
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