Baerbock und Faeser in Türkei: Stippvisite im Erdbebengebiet

    Baerbock und Faeser in Türkei:Besuch im Erdbebengebiet vor allem symbolisch

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    von Diana Zimmermann, Gaziantep
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    Annalena Baerbock und Nancy Faeser haben die Erdbebenregion in der Türkei besucht und weitere Hilfen zugesagt. Ein paar wenige Eindrücke vor Ort, ein paar Gespräche - reicht das?

    15 Tage nach einem Erdbeben, das die WHO als größte europäische Naturkatastrophe seit 100 Jahren bezeichnet, steigen Annalena Baerbock (Grüne) und Nancy Faeser (SPD) in Gaziantep aus dem Flieger der Bundesregierung.
    Das Begrüßungskomitee ist klein, der höchstrangige Vertreter der Türkei ist der stellvertretende Gouverneur von Gaziantep. Die Ministerinnen haben ihre Amtskollegen dazu ermutigt, in Ankara ihren Geschäften nachzugehen, sie wollten der Einladung der türkischen Regierung zwar folgen, dabei aber so wenig Kräfte binden wie möglich.

    Ministerinnen übergeben weitere Hilfslieferungen

    Noch bevor die beiden Frauen den Flughafen verlassen, werden sie vom Technischen Hilfswerk (THW) durch ein Transportflugzeug der Luftwaffe vom Typ A400M geführt. 20 Maschinen sind bereits gelandet, geliefert haben sie im Erdbebengebiet mehr als 340 Tonnen, darunter:
    • Zelte
    • Feldbetten
    • Schlafsäcke
    • Decken
    • Heizungen und Generatoren
    Die Ministerinnen übergaben heute noch einmal 13 Tonnen, auch das Bundesgesundheitsministerium schickt Medikamente und medizinisches Gerät. Sich ein Bild davon zu machen, wo die Hilfsgüter ankommen, wie sie verteilt werden, wen sie erreichen und was noch fehlt, ist Ziel dieser ungewöhnlichen Stippvisite zu zweit.

    Sachmittel an Hilfsorganisationen vor Ort statt Geld an Damaskus

    50 Millionen Euro neuer Hilfen bringen die beiden Deutschen mit:
    • 33 Millionen für die Türken
    • 17 Millionen für die Syrer
    Syrien hat es besonders hart getroffen. Gepeinigt von einem nun schon 12 Jahre währenden Krieg, geflohen in die letzten von Assad nicht komplette kontrollierten Gebiete, hat den Menschen das Beben häufig das Wenige genommen, das sie aus der ersten Katastrophe retten konnten. Es ist ein Glück in einem fortwährenden Unglück, dass Gaziantep seit Jahren Sammelort für syrische Flüchtlinge und deshalb schon vor dem Beben Standort eines großen Büros der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit ist.
    Packen von Hilfsgütern an das Erdbebengebiet.
    Die Erdbebenregionen sind derzeit besonders auf medizinische Hilfe angewiesen. Daher organisiert die Leiterin des westdeutschen Transplantationszentrums Ebru Yildiz in Essen Spenden von Ultraschallgeräten, Krücken und Zelten. 21.02.2023 | 1:46 min
    Die Erdbebenregionen sind derzeit besonders auf medizinische Hilfe angewiesen:
    Die Bundesregierung hat sich entschlossen, kein Geld direkt nach Damaskus zu schicken, zu groß ist das Misstrauen, dass die Regierung Assad es nicht für die Notleidenden Regime-Gegner im Erdbebengebiet einsetzen würde.
    Stattdessen werden Sachmittel an die bereits im Gebiet aktiven Hilfsorganisationen gegeben. Nach wie vor geht es vor allem darum, dass die obdachlos gewordenen Menschen eine Unterkunft finden. Zelte, Schlafsäcke und Generatoren sind Mangelware.

    Unerbittliche Steigerung der Zerstörung

    Eineinhalb Stunden dauert die Fahrt von Gaziantep nach Pazarcik, 20 Kilometer östlich von Kahramanmaras. Die Kolonne fährt über die Autobahn, sie gibt den Blick frei auf schneebedeckte Berge.
    Die Gebäude und Mauern in der Landschaft stehen noch alle, lange ist nichts zu sehen von der Zerstörung, die die Erdstöße angerichtet haben. Hier lag das Epizentrum. Das Beben wellte den Boden mit einer Stärke von 7,7 Mw. Mehr als 10.000 Menschen sind hier gestorben, 941 Häuser eingestürzt, fast 11.000 müssen abgerissen werden.
    Langsam tauchen die ersten Schäden auf, Häuser mit eingestürzten Dächern, Rissen. Je näher man dem Epizentrum kommt, desto weniger Häuser haben intakte Fenster. Auf Traktoren werden Kiesel und Baumaterialien gen Kahramanmaras transportiert. Ein Zementwerk ist in sich zusammengefallen.
    Internationale Hilfe kommt in Syrien kaum an. Die Weißhelme bilden den letzten Anker einer funktionierenden Zivilgesellschaft:

    Für viele keine Hoffnung auf sicheres Dach über dem Kopf

    Es ist wie eine langsame und unerbittliche Steigerung, bis bei der Einfahrt nach Pazarcik das Grauen spürbar wird. Schief und krumm stehen die Gebäude, scheinen selbst deutlich davor zu warnen, ihnen zu nahe zu kommen. Der Boden wie in einer Schlangenbewegung erstarrt.
    In einem Park sind hier rund 2.000 Menschen in Zelten untergebracht. Wer die Gegend nicht verlassen, sich nicht zu Freunden oder Verwandten flüchten konnte, hat nicht viele Möglichkeiten, ein sicheres Dach über dem Kopf zu bekommen. Ein festes schon gar nicht.
    Die deutsche Organisation Humedica e.V. hat hier Zelt und Feldapotheke zur medizinischen Grundversorgung errichtet, hält den Kontakt zu den türkischen Krankenhäusern. 40 bis 80 Patienten kommen jeden Tag. Viele sind traumatisiert, haben Schlafstörungen, Angstattacken.

    Wir reden viel und halten viele Hände.

    Hansi Sobez, freiwillige Ärztin im Erdbebengebiet

    Auch viele Kinder kommen, mit Atemwegserkrankungen, Durchfall. Einmal mussten sie einen Mann davon abbringen, sein Leben zu beenden. Sein 18-jähriger Sohn war im Beben umgekommen, er wollte nicht mehr leben.
    Zwei starke Nachbeben haben am Montagabend die türkisch-syrische Grenzregion erschüttert. Es gibt Tote und Verletzte:

    Türkei verlängert Einsatz ausländischer Helfer nicht

    Am Freitag reisen die deutschen Helfer ab, das türkische Gesundheitsministerium verlängert den Einsatz nicht. Es möchte, dass einheimische Teams übernehmen.
    Im Zentrum von Pazarcik geben Baerbock und Faeser ein Statement. Es wirkt reichlich absurd, eine Gruppe deutsch-türkischer Botschaftsangestellter, Sicherheitsangestellte, die Pressemeute, ein paar Bewohner des Ortes, Schaulustige.
    Vor einer Moschee haben sich die Betonplatten eines Hauses einfach übereinander gelegt. Hier ist niemand gestorben, wird erklärt, gegenüber waren es zwei Menschen.

    Baerbock und Faeser bekunden Solidarität

    Erschütternd ist, wie unterschiedlich die Schäden sind. Manche Häuser stehen scheinbar ungerührt, andere neigen sich gefährlich und viele, viel zu viele nehmen nur noch erschütternd wenig Raum ein.
    Die Ministerinnen sprechen darüber nicht, ihnen geht es darum klarzumachen, dass sie hier sind, weil sie es ernst meinen mit der Hilfe für die Erdbebenopfer. Dass dies ein Termin ist, der Nancy Faeser durchaus gelegen kommt, ist kein Geheimnis. Die SPD-Frau will Ministerpräsidentin von Hessen werden, einem Bundesland mit einem hohen Anteil türkeistämmiger Bürger.
    Erdbebenopfer aus der Türkei sollen leichter Visa für Deutschland bekommen, verspricht die Bundesregierung. Doch Tempo bleibt bisher aus. Hilfsorganisationen üben Kritik:

    Hohe Hürden für Betroffene
    :Kritik an Visa-Vergabe für Erdbebenopfer

    Erdbebenopfer aus der Türkei sollen leichter Visa für Deutschland bekommen, verspricht die Bundesregierung. Doch bisher sind erst 111 Visa erteilt. Hilfsorganisationen üben Kritik.
    von Dominik Rzepka
     Eine Frau weint um einen Verwandten bei der Beerdigung eines der Erdbebenopfer, die vor fünf Tagen in der türkisch-syrischen Grenzregion zu beklagen waren.
    Auch die letzte Station hat vor allem symbolischen Charakter: die mobile Visa-Vergabestelle über den externen Dienstleiter iDATA. Für Erdbebenopfer besteht ein vereinfachtes Antragsverfahren für Kurzzeitvisa: 96 Schengen-Visa für Türken, 15 Familienzusammenführungen für Syrer wurden bisher erfolgreich bearbeitet.
    Baerbock und Faeser wollen die deutschen Ausländerbehörden ermutigen, diese Anträge unbürokratisch anzugehen. Ganz auf die Überprüfung der Personalien verzichten können sie nicht. "Ich bin ja auch für die Sicherheit Deutschlands zuständig", sagt Nancy Faeser. Auch ohne Dokumente müssten Einreisewillige irgendwie nachweisen können, wer sie sind. Die türkischen Behörden, so höre sie, seien aber sehr hilfsbereit.

    Folgen der Katastrophe erfordern langen Atem

    Die Ministerinnen zeigen sich bewegt von den Gesprächen, die sie mit Opfern geführt haben, reden davon, dass die Hilfe anhalten muss, denn die Folgen der Katastrophe - seien es posttraumatische Störungen, sei es Wohnungslosigkeit - erforderten einen langen Atem.
    Solidarität zu bekunden, ist ihr Ziel, sowohl in die Türkei als natürlich auch nach Deutschland, wo so viele Bürger Familienmitglieder in der Türkei und Syrien haben. Ob sie nach ein paar Stunden in der Region, nach ein paar nur wenige Minuten dauernden Gesprächen wirklich besser einschätzen können, wo und wie die Hilfe ankommt, ist allerdings durchaus zu bezweifeln.
    Diana Zimmermann ist Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio Berlin.

    Schwere Erdbeben
    :Spendenaufruf für Türkei und Syrien

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