Baerbock: "Wir haben nicht auf unsere Freunde gehört"
Interview
Baerbock über Russland-Politik:"Wir haben nicht auf unsere Freunde gehört"
24.08.2022 | 20:51
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Im ZDF-Interview blickt Außenministerin Baerbock auf ein halbes Jahr Ukraine-Krieg zurück - und erklärt, warum sie Friedensgespräche mit Putin weiter ausschließt.
Kann die Ukraine den Krieg gewinnen? Diese Frage muss die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im Interview mit dem "heute journal" nüchtern beantworten:
Das wissen wir nicht.
Annalena Baerbock (Grüne), deutsche Außenministerin
So "brutal" sei die Realität. Baerbock verspricht jedoch, man werde "alles dafür tun". Denn die Ukraine kämpfe seit einem halben Jahr für ihre Freiheit, für ihr Land und für Frieden, so Baerbock. "Aber auch für die europäische Friedensordnung".
Baerbock: Deutsche Waffenlieferungen ein "schmaler Grat"
Der heutige Unabhängigkeitstag der Ukraine sei ein "Weckruf" zu überprüfen, wie die Ukraine weiter unterstützt werden könne. Weitere Waffenlieferungen aus Deutschland bewegen sich jedoch auf einem "schmalen Grat", sagt Baerbock. Der Grund: die mangelhafte Ausstattung der eigenen Truppe.
Leider ist der Stand bei uns so, dass wir in unseren eigenen Beständen absolute Defizite haben.
Annalena Baerbock
Aus ukrainischer Sicht müsse "natürlich besser gestern als heute geliefert werden", sagt die Außenministerin. Deutschland müsse jedoch auch mittelfristig denken. Aufgrund des deutschen Waffen-Problems müsse die Rüstungsindustrie "dezidiert für die Ukraine Material produzieren".
In Osteuropa und Baltikum "viel Porzellan zerschlagen"
Angesprochen auf das verloren gegangene Vertrauen osteuropäischer und baltischer Partnerländer in die deutsche Außenpolitik, gesteht Baerbock ein, dass "viel Porzellan zerschlagen" sei. Das betreffe allerdings nicht nur die letzten Monate (und damit die Ampel-Regierung), sondern auch die Jahre zuvor. Baerbock spricht gezielt die Gaspipeline Nord Stream 2 an:
Mit dem Festhalten an Nord Stream 2 haben wir nicht auf die Sorgen unserer baltischen und osteuropäischen Freunde gehört.
Annalena Baerbock
Baerbocks Partei hat bereits in der Opposition das Pipeline-Projekt massiv kritisiert und vor einer zu großen Abhängigkeit von russischer Energie gewarnt.
Doch nicht nur durch Nord Stream 2, auch beim wochenlang diskutierten Ringtausch schwerer Waffen mit osteuropäischen Partnern habe es "geholpert", so Baerbock. Insgesamt sei es bei der Lieferung schwerer Waffen "zögerlich zugegangen".
Baerbock: Zögerliche Waffenlieferungen Grund für Probleme mit Osteuropa
Dies sei ein weiterer Grund für die verschlechterten Beziehungen mit Osteuropa und dem Baltikum, so Baerbocks Einschätzung. Zu Beginn des Krieges hatte die Ampel-Regierungen Waffenlieferungen an die Ukraine noch vollständig ausgeschlossen.
Nun brauche es weitere, schnelle, zusätzliche Lieferungen im Herbst, "damit die Ukrainerinnen und Ukrainer sich jetzt verteidigen können", fordert Baerbock. Gleichzeitig müsse man sich auch darauf einstellen, dass der Krieg im nächsten Jahr weitergehen werde. In den kommenden Wochen werde Deutschland das Luftabwehrsystem Iris-T in die Ukraine liefern. Im kommenden Jahr sollen weitere Systeme folgen.
Das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe hilft Menschen in der Ukraine und auf der Flucht. Gemeinsam sorgen die Organisationen Caritas international, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland für Unterkünfte und Waschmöglichkeiten, für Nahrungsmittel, Kleidung, Medikamente und andere Dinge des täglichen Bedarfs. Auch psychosoziale Hilfe für Kinder und traumatisierte Erwachsene ist ein wichtiger Bestandteil des Hilfsangebots.
Putins "Wahnsinnsplan" nicht aufgegangen
Angesichts der sechsmonatigen Kriegsdauer zog Baerbock auch ein positives Fazit. Der "Wahnsinnsplan" des russischen Präsidenten Wladimir Putin sei bislang "zum Glück" nicht aufgegangen. Die russische Regierung hatte das Ziel, die Ukraine in wenigen Tagen einzunehmen und die Regierung um Präsident Wolodymyr Selenskyj zu stürzen.
Gespräche mit der russischen Regierung über ein Ende des Krieges hält Baerbock weiterhin für falsch. Bis zum 24. Februar habe man "alles dafür getan", den Krieg diplomatisch zu verhindern, bekräftigt Baerbock.
Der russische Präsident hat beschlossen, diese Friedensgespräche zu zerstören, jetzt zerstört er seit sechs Monaten ein unschuldiges Land.
Annalena Baerbock
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.