Baerbock über China: Werden "uns nicht entkoppeln können"

    Interview

    Baerbock über Außenpolitik:China: Werden "uns nicht entkoppeln können"

    16.10.2022 | 12:41
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    Im ZDF-Interview kündigt Außenministerin Baerbock Sanktionen gegen den Iran an. Mit Blick auf China warnt sie vor einer ähnlichen Abhängigkeit Deutschlands wie gegenüber Russland.

    Annalena Baerbock beim Grünenparteitag
    Außenministerin Annalena Baerbock beim Grünenparteitag in Bonn.
    Quelle: Imago

    ZDF: Sie haben eine wertebasierte, feministische Außenpolitik versprochen. Vor der Parteitagshalle protestieren nun Exil-Iraner, die sagen, sie sind auch von den Grünen enttäuscht, weil sie sich eine härtere Reaktion gewünscht hätten. Können Sie die Kritik nachvollziehen?
    Annalena Baerbock: In einer Situation, wo man selber Mutter, Schwester, Cousin im Iran hat, da ist alles, was wir an Unterstützung leisten können, natürlich das, was die Menschen aus dem Iran fordern. Das kann ich total verstehen. Und zugleich ist meine Verantwortung als Außenministerin, dass ich nicht Dinge versprechen kann, die ich nicht sofort umsetzen kann. Und deswegen habe ich von Anfang an gesagt:

    Wir werden weitere Sanktionen auf den Weg bringen.

    Wichtig ist zu wissen, dass die Europäische Union anders als andere Länder schon ihr Sanktionspakete gegenüber dem Regime Iran auf den Weg gebracht hat in der Vergangenheit. Wir werden weitere Personen listen, die dafür verantwortlich sind, dass das, was wir uns niemals vorstellen können, dass Schülerinnen verschleppt werden, nur weil sie singen wollen. Weil sie frei sein wollen, weil sie kein Kopftuch tragen wollen. Dass diese Personen, die für die Gewalt verantwortlich sind, die wir derzeit im Iran sehen, dass auch die jetzt sanktioniert werden.
     
    ZDF: Es gibt ja auch die Forderung, die Atomverhandlungen mit dem Iran ganz einzustellen. Das finden Sie keine gute Idee? Warum eigentlich nicht?
    Baerbock: Das Leben für die Menschen in Iran, aber ebenso in der Region wäre natürlich noch viel gefährlicher, wenn dieses Regime eine Atombombe hat. Deswegen haben wir in den letzten Jahren als internationale Gemeinschaft deutlich gemacht: Dieses Land darf keine Atombombe bekommen. Wir haben auch in den letzten Monaten immer wieder deutlich gemacht: Wir wollen wissen, was in den Atomkraftwerken dort passiert.
    Das iranische Regime war nicht bereit, internationale Beobachter der EU in die Atomkraftwerke hineinzulassen. Und deswegen finden de facto zurzeit auch wirklich keine Verhandlungen statt.
    ZDF: Die Grünen haben eben mit großer Mehrheit weitere Waffenlieferungen an die Ukraine beschlossen. Trotzdem gibt es einen Vertrauensverlust für Deutschland, weil eben diese Waffenlieferungen nicht so vorankommen, wie es die Ukraine und andere gerne sehen würden. Woran liegt das?
    Baerbock: Wir haben diese Waffenlieferungen nicht beschlossen, obwohl wir eine Menschenrechts- und Friedenspartei sind, sondern weil wir eine Menschenrechts- und Friedenspartei sind. Diese Partei wurde unter anderem von Menschen gegründet, die gesagt haben, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die dürfen nie wieder passieren. Und wenn sie passieren, darf die Welt nicht die Augen verschließen.
    Ich bin Mitglied dieser Partei geworden, weil wir eine Menschenrechts-Partei sind und ich glaube, deswegen verwundert es auch nicht viele, dass wir ausgerechnet als Grüne auch im Baltikum, in Polen ein großes Vertrauen haben, dass wir uns dafür einsetzen, die Ukraine weiter zu unterstützen.
    ZDF: Ist es so, dass die grüne Außenpolitik gerne wertebasiert wäre. Aber die SPD und Kanzler Scholz lassen sie nicht so richtig?
    Baerbock: Ich halte überhaupt nichts davon, dass in der Situation, wo Putins Krieg darauf angelegt ist, nicht nur die Ukraine zu vernichten, sondern Europa zu spalten, unsere Demokratien zu spalten, dass wir anfangen, in der Bundesregierung oder in unserem Land oder in Europa zwischen uns Demokraten einen Spaltpilz kommen zu lassen.

    Wir müssen als Demokraten in Deutschland, in Europa diesen Winter zusammenstehen.

    So wie Millionen von Menschen in diesem Winter zusammenstehen, weil sie sagen: Wir werden gemeinsam die Ukraine unterstützen und uns als Demokratie nicht spalten lassen.
    ZDF: Es ist ja nicht nur die Ukraine. Scholz will jetzt nach Peking fahren. Viele Bundesministerien finden das keine gute Idee. Was halten Sie davon?
    Baerbock: Wir entwickeln gemeinsam als Bundesregierung auch eine China-Strategie auf Grundlage unseres Koalitionsvertrages. Und da haben wir sehr, sehr deutlich gemacht, dass wir die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen dürfen. Wir dürfen uns nicht noch einmal von einem Land so abhängig machen, das unsere Werte nicht teilt, wie das mit Russland der Fall war. Und wir müssen sehen, dass leider auch China sich in den letzten Jahren von der Welt abgewandt hat, dass es sich nicht an internationale Regeln hält, sondern seine eigenen Regeln versucht zu setzen, dass es im Land gegenüber seinen eigenen Menschen vorgeht.

    Wir werden uns von China nicht entkoppeln können.

    Die globalen Fragen sind viel zu eng mit dem Land verknüpft: Klimakrise, Pandemie, auch in wirtschaftlichen Beziehungen. Aber wir dürfen uns von China nicht abhängig machen, damit wir nicht in eine ähnliche Situation hineinrutschen, wie das derzeit mit Russland der Fall ist.
    Das Interview führte Thomas Reichart, Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio.
    Mehr zum Thema sehen Sie um 19:10 Uhr in der ZDF-Sendung "Berlin direkt"
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